Neues Jahr, neuer Migräneanfall

Silvester steht vor der Tür und wie in jedem Jahr möchte der Durchschnittsbürger vor Schlag zwölf am 31. alles erledigt wissen. Das kommende Jahr als symbolischer Neubeginn – ich habe meine Zweifel. Du kannst auch am 2. Februar das Rauchen anfangen oder am 10. April zur überfälligen Vorsorgeuntersuchung gehen. 

Und was wird geseufzt: Ich bin so froh, wenn dieses Jahr vorbei ist. Nächstes Jahr wird es anders, da passe ich besser auf mich auf. Lass hinter dir, was du nicht mehr benötigst – was auch immer die Kalendersprüche sagen, du wirst am 1. Januar exakt dieselbe Pappnase im Spiegel erblicken, bis du dich veränderst.


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


Alle Jahre haben Licht und Schatten. Leben und Tod. Verlust und Gewinn. Freue dich, dass dir ein weiteres Jahr geschenkt wurde. Das bedeutet, du hast vieles richtig gemacht, sonst wärst du vermutlich tot.

Nonstop passiert Wundervolles. Kleine Menschen werden geboren. Ich durfte eben erst ein wenige Wochen altes Baby auf den Arm nehmen. Wie leicht die sind – trotzdem alles drin. Ein Wunder. 

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David Nevory und die Gilmore Girls im Herbst

Ach, der Herbst. Bis Halloween schaue ich gern, wie ein Eishockeymaske tragender Irrer Teenager mit seiner Machete zerhackt. Danach schalte ich auf „cozy“. 

Nichts wie raus zu goldener Sonne und Herbstlaub. 

Doch wohin ich gehe – Paare im Jack-Wolfskin-Partnerlook. Gefrorene Hundescheiße und apokalyptische Wetterkapriolen stören meinen verdienten Frieden dort draußen. Ergo: Rückwärtsgang, raus aus dem Wintermantel, rein in die Jogginghose, ab auf die Couch und auf nach Stars Hollow. Die Gilmore Girls.


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


Es ist mir ein liebgewonnenes Ritual, diese Serie in den kalten Jahreszeiten zu schauen. Ein Idyll aus Lichterketten, hochfrequentem Geplapper und Insel-Charme. Dieses Jahr jedoch schleicht sich Unbehagen ein. Etwas stimmt nicht. Es dämmerte mir kürzlich: Die romantischen Beziehungen der Gilmore Girls sind ein komplexes Netz aus Bindungsangst, Selbstsabotage und emotionaler Unentschlossenheit, das die vermeintliche Idylle der Serie bei genauem Hinsehen konterkariert. Was ist da los?

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Ist Berlin geiler als Bonn? (Spoiler: nein!)

Meine Stadt hatte die Wahl. Sie entschied sich, wenn auch nicht in meinem Sinne. Aber das ist Demokratie, langweilig wird sie nie. Der Rückenwind, der uns fünf Jahre eine grüne Oberbürgermeisterin bescherte, schlug um. Nun haben wir einen konservativen OB mit Namen Déus – Halleluja, das kann nur prima werden. 

In solchen Situationen wird mir gewahr, was für ein spießiges, rückwärtsgewandtes Kaff meine Stadt – Bonn – ist. Selbst meine Bubble (und wir sind bereits die Alternative!) siecht unter einer gewissen Wohlstandsverwahrlosung, gepaart mit Langeweile und dem Verdruss über die eigene Vergänglichkeit dahin. Mir wird es manchmal eng hier, die Wände kommen näher. Aber ist das Gras, wie man sagt, woanders grüner? 

Bemühen wir den ewig hinkenden Vergleich Bonn vs. Berlin, Bundesstadt (was immer das bedeuten mag) vs. Hauptstadt (was immer das bedeuten mag). 


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


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Scott-Pilgrim-Comics, Batman-Träume und Dream Pop aus L.A.

Ich verbringe viel Zeit auf Bahnhöfen und warte auf Züge. So viel Zeit, dass es sich lohnen würde, dort ein Business zu starten. Drogen, Prostitution, Pfand sammeln, betteln, alles außerhalb meiner Kompetenzzonen oder bereits vergeben. Deshalb investiere ich die Wartezeit gern in etwas Heilsames: Weltflucht und Träumerei. Bevorzugt durch das Lesen von Comics. 

Comics lesen meine Kinder, sagen die Ahnungslosen. Comics sind ein Medium, kein Genre, entgegne ich. Das ist ähnlich dumm, wie zu sagen, meine Kinder schauen Filme… Ebenso schlimm: Ich lese keine Comics, ich lese Graphic Novels. Ja, klar!


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


Neulich las ich Scott Pilgrim Band 3, sprach ein Fremder mich an, der wie Jesse Eisenberg aussah. Es wäre noch cooler, hätte er ausgesehen wie Michael Cera, der ja Scott Pilgrim in der Realverfilmung spielt, aber es war wie es war. Jesse wollte wissen, ob das ein neuer Pilgrim wäre, was ich wahrheitsgemäß verneinte. Wir versicherten uns gegenseitig, wie fantastisch dieses Comic ist, schwiegen verlegen, dann wünschte ich einen schönen Tag und ging. Das allerdings beschwingt und gut gelaunt, weil es mich erfreute, einen Gleichgesinnten getroffen zu haben. Der Mensch möchte gesehen und in seinem Tun bestätigt werden. Im Außen. Der Blick nach innen folgt anderen Gesetzen. 

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Popkultur lebt vom Fake: Wenn die Welt dich abhängt

Neulich fiel mir auf meinem Weg durch die Stadt ein älteres Paar ins Auge. Er adrett mit Weste und Schiebermütze, eleganter Gehstock, sie im langen Kleid mit ausladendem Blumenmuster, Brigitte-Macron-Frisur. Sie standen vor einem Schild an einem altehrwürdigen Stadthaus, auf dem bis neulich noch irgendeine Anwaltskanzlei ausgewiesen war. Nun stand dort „Coworking Space”, und wenn ich die Szene und die aufgeschnappten Gesprächsfetzen richtig interpretiere, wussten die beiden nicht, was das bedeutet. 

Wie fühlt es sich an, wenn die Welt dich abhängt? 

Wenn Schilder in Sprachen auftauchen, die du nicht sprichst? Wenn Menschen einen Slang bevorzugen, der dich ausschließt? Wenn die “Sitten” verschoben werden? Besuchte mich mein Vater seinerzeit in der großen Stadt, fielen ihm die Augen aus dem Kopf, begegneten wir einem gleichgeschlechtlichen Paar. Ich weiß, mein Vater war für Liebe, er war einfach nur erstaunt und das ließ ich ihm. Die Zeiten ändern sich. 


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


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Kleines Licht beats große Dunkelheit

Neulich, am vermutlich heißesten Tag dieses Jahres lief ich vom Bahnhof durch die City, vorbei an dem neuen Bibliotheksgebäude, vor dem die Stadt unbequeme Bänke installiert hat, auf denen niemand sitzen kann, dessen Körper nicht durch eine Laune der Natur oder widrige Umstände die Form eines Geodreiecks hat. Oder du machst es wie der junge Mann, der mir auffiel, oberkörperfrei in der Gluthitze, schlägst der amtlich verordneten Unbequemlichkeit mit Körperspannung ein Schnippchen und wirst zur Hypotenuse. 

Der Typ, lass ihn sechzehn bis achtzehn Jahre jung gewesen sein, war smart, blond, drahtig, Boyband-hübsch, trug eine wirklich ausgefallene Schlaghose und – ein Fleck auf einem schönen Gemälde, ein Makel in der jugendlichen Reinheit – er rauchte einen Joint. 


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


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Wie der Kamin auf Netflix

Die Zeiten, in denen eine Karriere im Musikbusiness auf den kleinen Bühnen der eigenen Stadt begann, sind definitiv vorbei. Die Idee, sich erst eine kleine lokale Fanbase zu erspielen, von dort aus weiter entfernte Bühnen, vielleicht Festivals, um neues Publikum zu erschließen – vergiss es. Mach es einfach digital, dann liegt dir direkt die ganze Welt zu Füßen. Für diese These ist David Nevory geradezu ein Paradebeispiel.

Der smarte junge Mann kann kubanisch-amerikanische Wurzeln vorweisen, das ist viel cooler als aus Herne kommen. Er musiziert aus Köln in die Welt hinaus, und das mit der Unterstützung von Saint in the City, einem Independent Label mit internationalen Portfolio. David spielt jene Art soften Singer-Songwriter-Sound, wie er gern aus Kanada kommt, erweitert dieses Setting jedoch um einige interessante Facetten, Synthies, das macht Pop Flair und löscht das Lagerfeuer, es brennen wirklich schon zu viele Lagerfeuer rund um den Globus. Simon & Garfunkel gibt er als Einfluss an, Bruce Springsteen, letzteren höre ich nicht, eher einen weniger wütenden Sam Fender oder einen Ryan Adams ohne Dachschaden. Aber ich bin ja schon mehr als begeistert, wenn sich ein Kölner mit Karriereambitionen nicht aus Verzweiflung im Karneval verdingt. 


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


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Robert, you’re a love disaster

Erinnerst du dich an Robert Francis? 2007 erschien das erste Album des damals neunzehnjährigen Amerikaners und Multiinstrumentalisten, über den geschrieben wurde, dass er in einer Künstlerfamilie in Kalifornien aufwuchs und John Frusciante ihm das Gitarrespielen beibrachte. Umso überraschender, dass Robert nicht so schaurige Musik macht wie Frusciante oder seine schreckliche Band, sondern wunderschön schwülstigen Singer-Songwriter-Pop, Country, Americana und Rock. 

In seiner emotionalen Intensität und der Stimmgewalt fühlt sich dies ähnlich an wie die Kompositionen des unvergessenen Jeff Buckley. Dazu dann noch diese dezente Melancholie und der verstrubbelte Out-Of-Bed-Look, trotzdem smart, diesem Charme erliege ich bis heute wehrlos. 


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


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Der freundliche Rapper aus der Nachbarschaft

Was macht sie für dich aus, die Stadt in der du lebst? Sind es die Häuser, die Straßen, die Parks, vielleicht ein Fluss, die Gastro, Kinos, Theater? Zu all dem sag ich ja, für mich auch, aber der wirklich entscheidende Faktor sind die Menschen, mit denen ich mir all dies teile. Ich und sie, wir leben in einer mittelgroßen, eher konservativen Stadt mit einer langen Geschichte und wenig spannenden Perspektiven, zumindest was die Subkultur angeht. Abgesehen davon läuft hier vieles in meinem Sinne, aber darum soll es sich hier und heute nicht drehen, weil langweilig. Der Sommer ist da, stotternd, zögerlich, das ist es nun, das Sommermärchen 2024, ja ja. Es gibt ein paar nette Open-Airs hier, aber besser als Nile Rodgers, der mit seiner Band Chic alles spielt, was er für sich und andere Künstler geschrieben und produziert hat, also eine Art High-Class-Coverband, wird es nicht. Um so wichtiger deshalb, dass wir selbst was gebacken kriegen. Sei die Party, die du verdienst. Und da kommen wir wieder zu den Menschen, die diese Stadt mitgestalten, sie lebenswert machen, und einer davon ist Rapper Henning.


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


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Meine Yacht rockt

Ich habe meine Plattensammlung verkauft. Sie war nicht groß, wuchs kaum noch und gehört habe ich selbst solche Musik, die ich auf staubigem weil selten eingefasstem Vinyl besaß, eher auf Spotify oder YouTube. Als ich die Platten für die Abholung in Kartons packte, überkam mich trotzdem etwas Abschiedsschmerz. “Tunnel of Love” von Bruce Springsteen, ich fuhr 1987 mit dem Fahrrad in die benachbarte Stadt, um sie zu kaufen. “Lovesexy” von Prince schenkte mir mein Bruder 1988 zum Geburtstag. 

Überrascht war ich, welche Anzahl an Yacht-Rock-Platten ich in den letzten Jahren gekauft und nicht gehört hatte. Yacht-Rock ist Musik der Siebziger und frühen Achtziger, lief in etwa parallel zu Disco, und wurde zu jener Zeit West Coast Rock oder AOR (Adult Oriented Rock) genannt. Den Namen Yacht-Rock prägte erst eine Mockumentary aus dem Jahr 2005. Kalifornien, verspiegelte Sonnenbrillen, Bikinis, das Hemd geknotet, Sommer, Sonne, Strand und Drogen – elitäre Fuzzies, Yuppies, die es sich auf ihrer Yacht gut gehen lassen und dazu jene leichte Musik hören, wurde der abwertende Begriff ex Post die Geburt eines Genres.


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


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