Irmgard-Haub-Trio: Alter Geheimtipp neu vertont

Deutsche Chansons und Geschichten der 20er Jahre: Das Thema ihres aktuellen Albums hat das Irmgard-Haub-Trio einer zufälligen Entdeckung zu verdanken.

Die Sängerin Irmgard Haub tritt bereits seit mehr als 20 Jahren mit dem Pianisten Johannes Reinig auf. Im Rahmen eines Projektes stießen die beiden auf die Gedichte der jüdischen Autorin Elisabeth „Lili“ Grün (1904-1942). Nachdem mit dem neuen Mitglied Constanze Steingass am Cello das Irmgard-Haub-Trio vollständig wurde, vertonten sie die Gedichte. Am 8. November bringt das Trio nun eine CD mit den entstandenen Liedern heraus. Damit beleuchten sie das Lebenswerk einer Person mit tragischer Geschichte: Lili Grün stammte aus Wien, wurde neben ihren Gedichten mit Büchern, Geschichten und Kabarett bekannt und kam in einem Vernichtungslager im Nationalsozialismus um.
Mal jazzige Töne, mal Rhythmus und mal ruhiges Schweben prägen den Klang der CD Mensch, Lili! und über allem liegt die kräftig-klassische Stimme Irmgard Haubs. Das Cello ergänzt die Klavierbegleitung mit pointierten Einwürfen sehr schön. Die spitzen Texte der Dichterin Grün finden sich auch in den musikalischen Ideen des Trios sehr treffend wieder.

Fazit: Dem Irmgard-Haub-Trio hört man die jahrelange Erfahrung im Zusammenspiel an. Die Texte einer heute zu unrecht kaum bekannten Dichterin und Schriftstellerin rücken sie in den Fokus, vertonen sie passend in ihren Arrangements und ordnen sie musikalisch mit Feingefühl in die Epoche der 20er Jahre ein.

Henny Herz: besonderes Stimmtalent

Power in der Stimme und Feeling fürs Detail: Henny Herz fesselt einen mit ihren Songs.

Henny Herz ist eine junge Sängerin aus München. Vergangene Woche hat sie nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne ihr erstes Album Back Into Space veröffentlicht.
Die Musikerin ist in mehrfacher Hinsicht eine Entdeckung. Ihre faszinierende Stimme macht den Anfang, dazu lässt sie sich entweder simpel von Gitarre oder Klavier begleiten, oder hat eine ganze Band hinter sich. Man kann sich gar nicht entscheiden: Ist ihre Stimme nun jazzig, soulig, rockig? Henny Herz singt auf Deutsch, Englisch und Französisch, hat eine bemerkenswerte Treffsicherheit und singt auch komplexe Melodieverläufe scheinbar mühelos.

Fazit: Bei Henny Herz handelt es sich um eine spannende aufstrebende Künstlerin, bei der es sich lohnen dürfte, sie in der nächsten Zeit weiter im Auge zu behalten.

  • Meisterwerk: „Walls Of Glass“
  • Meilensteine:
    • 2019 Debut Back Into Space
  • Umleitung:

Aftertheriot: Rock-Randale

Um Verzweiflung und unerschütterliche Hoffnung geht es den vier Musikerinnen und Musikern von Aftertheriot, wie sie selbst sagen. Diese Zerrissenheit klingt auch in ihrer Art Musik zu machen durch.

Aftertheriot sind Sängerin Jess, Drummer Hannes und jeweils ein Chris an Gitarre und Bass. Die vier Ur- und Wahlberliner haben in den letzten Jahren zwei EPs aufgenommen und sich auf verschiedenen Bühnen ausgetobt. Am Donnerstag ist die Band noch mit ihren Kollegen von Papiertiger in Berlin zu sehen.
Politisch, gesellschaftskritisch und laut lassen die vier ihren Überzeugungen freie Fahrt und singen insbesondere gegen Nationalismus und Rassismus an. Jess‘ Gesang hat Power und die Sängerin prägt den Charakter der Band mit ihrer Stimmfärbung ebenso wie mit den mutigen Melodieläufen. Die anderen drei Bandmitglieder bauen mit ihrer Instrumentation einen massigen Hintergrundsound auf, sind aber trotzdem auch einzeln jeder für sich markant und gut herauszuhören.

Fazit: Aftertheriot drängen nach vorn, machen ihrem Ärger über bestehende Probleme Luft und reißen ihre Hörer auch ohne simplen Mitsing-Pop mit.

Elfmorgen: Punk-Rocker legen nach

Deutschrock-Fans aufgepasst: Elfmorgen machen Feuer im Kessel und auch ein neues Album ist in Sicht.

Die Band ist schon lange ein eingespieltes Team. Seit 17 Jahren sind die drei jetzt zusammen am Start, nach acht Jahren ohne Platte lassen Elfmorgen in diesem Jahr wieder von sich hören: Kommenden Monat kommt Zuhause auf den Markt. Für Ende diesen Jahres und Anfang 2020 ist außerdem noch eine Deutschlandtour der Band angekündigt.
Die Erwartungen an ihr Album haben Elfmorgen bereits hoch gesteckt: Schon in der ersten Single „Bei aller Liebe“ wird man mitgezogen vom Enthusiasmus der Band. Punkige Sounds treffen auf Pop-Melodien und -Texte, es gibt fetzige Passagen zum Mitsingen und tanzgeeignet ist der Song auch. Elfmorgen setzen auf deutsche Texte, vorwärtsdrängendes Schlagzeug, „oh-eh-oh“-Backing Vocals und eine gepfefferte Portion Overdrive.

Fazit: Wer trotz der langen Bandgeschichte der selbsternannten ältesten Newcomer-Band der Welt noch nie über Elfmorgen gestolpert ist, kann das jetzt pünktlich zur neuen Platte noch nachholen.

Tommy Tornado & The Clerks: jazziges Saxophon

So gut wie keinen Text findet man bei den Jazzern und Reggae-Guys von Tommy Tornado & The Clerks. Dafür gibt es jede Menge Feeling und feine Eigenkompositionen.

Tommy Tornado heißt eigentlich Thomas Streutgers, ist Jazz-Saxophonist und Komponist. Als er 1997 den „Big Boss Jazz Award“ gewann, war der Musiker sogar noch minderjährig. Seit 2014 spielt der Solist auch zusammen mit der Kölner Ska-Band The Clerks. Daraus ist dieses Jahr schließlich ein gemeinsames CD-Projekt geworden: Back On Track ist seit Anfang des Monats erhältlich.
Die Rhythmusgruppe aus reggaetypischem Schlagzeug, präsentem Bass und der Gitarre auf dem Offbeat haben den passenden Unterbau für das jazzige Saxophon von Tommy Tornado parat. Mit starker Brass-Besetzung aus Trompetern und Posaunisten und aber auch Einwürfen von anderen Instrumenten wie Klavier, Querflöte oder Hammond-Orgel werden die Titel trotz der mit wenigen Ausnahmen rein instrumentalen Arrangements zu einer bunten Mischung. Die Clerks beherrschen jeder für sich ihre Instrumente, steuern hin und wieder Zwischenspiele und Soli bei und haben ansonsten ein Händchen für softe Schwingung in ihrer Begleitung.

Fazit: Das weiche Saxophonspiel von Tommy Tornado ist präzise, gefühlvoll und in sich geschlossen. Trotzdem ist das Album keine One-Man-Show und Tommy Tornado fügt sich klanglich schön in den Rückhalt der Band ein.

Papiertiger: Pop-Punk-Vierbeiner

Papierflieger bauen kann jeder, der irgendwann mal einen Fuß in ein Schulgebäude gesetzt hat – Papiertiger sind da wohl das nächste Level.

Seit 2018 spielen die Münchner Jungs Attila (Gesang, Gitarre), Bruno (Gitarre), Julius (Schlagzeug) und Moritz (Bass, Gesang) zusammen als Papiertiger. Ihr Anspruch: Lyrics, die über Junge-erobert-Mädchen und „München seid ihr heute Abend gut drauf?“ hinaus gehen. Die erste EP Papiertiger gibt’s seit dem 11. Oktober, für den 24. und 31. stehen Konzerte in München und Berlin auf der Agenda.
Die EP gibt einen schönen ersten Eindruck, in welche Richtung sich die Band orientiert. Die Raubkatzen warten mit deutschem Pop-Gesang, treibenden Drums, catchy Gitarremotiven und Rockakkorden auf. Nicht nur von der Gitarre, auch vom Bass gibt es immer wieder Fills mit Drive, die Titel klingen insgesamt jugendlich-übermütig, aber doch auch recht geerdet.

Fazit: Musikalisch sind die vier Papiertiger schön austariert, die Songs gehen leicht ins Ohr, die Texte sind authentisch. Mit der EP hat die Band außerdem einen hörenswerten Start hingelegt.

  • Meilensteine:
    • 2019 EP Papiertiger
  • Umleitung:

Mischpoke: Klezmer High Life

Mal wieder innerer Drang nach Offbeat-Fingerschnipsen? Mischpoke aus Hamburg sorgt fürs Setting.

Mischpoke sind die vier Berufsmusikerinnen und -musiker Magdalena Abrams an Klarinette und Gesang, Cornelia Gottesleben an der Geige, Gitarrist Frank Naruga und Maria Rothfuchs am Kontrabass. Dazu kommen immer wieder auch Gäste an Klavier, Akkordeon oder Trompete. Die Band gibt es jetzt seit gut zwei Jahrzehnten, sie haben mehrere CDs aufgenommen und touren fleißig durch die Republik.
Ob mit Hochschul-Lehrauftrag, als Workshopleitung oder im Theater, die vier von Mischpoke verstehen ihr Handwerk – ihre Virtuosität kommt also nicht als Überraschung. Der Gesang wirkt trotz klassischer Klezmer-Melancholie leicht und beschwingt, Rhythmik und Drive kommt von der Gitarre, Cornelia Gottesleben ist beeindruckend präzise und schnell auf ihren vier Geigenseiten unterwegs, die verspielte Klarinette tänzelt geradezu über die musikalische Basis der anderen Instrumentalisten und seien wir mal ehrlich: Es geht doch nichts über einen warmen, gezupften Bass.

Fazit: Die Mitglieder von Mischpoke sind grandiose Musiker, bei denen sichtbar auch die Freude an der Musik nicht zu kurz kommt. Einen Heidenspaß macht es, den jüdischen Skalen zu lauschen und die flinken Finger der Musiker zu beobachten.

  • Meisterwerk: „Abi Gezunt“
  • Meilensteine:
    • 2007 Debut Klezmer High Life!
  • Umleitung:

June Cocó: Pop neu gedacht

Mit dem Titel „The Road“ für ihr Debutalbum hat June Cocó von Anfang an klargemacht, was ihr vorschwebt: los in die Welt mit Tatendrang.

June Cocó machte sich mit der Veröffentlichung ihres ersten Albums gleich auf in verschiedene europäische Städte und konnte wohl sogar schon Schauspieler George Clooney auf ihre Musik aufmerksam machen. Ab Oktober ist die Sängerin und Pianistin auf ausgedehnter Deutschlandtour, aktuell läuft außerdem eine Crowdfunding-Kampagne für ihr zweites Album.
Mit aufgeweckter Art und sehr vielseitiger Stimme kombiniert June Cocó klassische Pop-Melodien mit elektronischen Effekten und aber auch konventioneller Instrumentation. Die Musikerin bringt so spannende Komponenten zusammen, geht mit der Zeit und liefert trotzdem eingängige Songideen. Ihre Lieder haben Schwung und selbst in den sanfteren Passagen hört man durchaus einiges an Kraft in ihrer Stimme.

Fazit: June Cocó ist eine vielversprechende neue Künstlerin in der deutschen Pop-Szene. Ihr Selbstbewusstsein, das man in den Songs spürt, ist ohne Frage gerechtfertigt.

June Cocó war ein Musiktipp von Thomas Wolff. Auf seiner Website Auf die Ohren stellt er mit großer Bandbreite seine Lieblingsmusik vor. Bekannte Künstler sind genauso vertreten wie absolute Geheimtipps, ein Besuch lohnt sich bestimmt.

Hannah Stienen: Deutschpop-Debut

Die Musik hat die junge Sängerin Hannah Stienen schon auf spannende Wege geleitet. Durch Fernsehauftritte kam sie früh an ein bundesweites Publikum, jetzt geht sie das Projekt von eigenen, größeren Veröffentlichungen an.

Den jüngeren Leserinnen und Lesern, die 2014 noch zu den KIKA-Guckern gehörten, könnte Hannah Stienen auch aus dem Fernsehen bekannt vorkommen. Zweimal nahm die zu dem Zeitpunkt jugendliche Musikerin an der Talentshow „Dein Song“ teil, fuhr mit nach Ibiza, um an ihren Songs zu werkeln, und schaffte es im zweiten Anlauf schließlich sogar ins Finale. Der Spaß am professionellen Musikmachen muss spätestens da geweckt worden sein – inzwischen hat es sie nämlich in logischer Konsequenz an die Folkwang Universität für Künste nach Essen verschlagen. Ihr erstes Album Loslassen ist seit Ende August erhältlich.
Hannah Stienen schreibt im positiven Sinne radiotaugliche Songs aus der Deutschpop-Ecke. Ihre Lieder sind nachdenklich und gefühlvoll getextet, die Melodien haben Ohrwurmcharakter. Die sanften Texte singt sie mit klarer, fokussierter Stimme und als Basis für ihren Gesang reicht ihr manchmal eine simple Gitarren- oder Klavierbegleitung, mal wartet sie mit komplettem Bandsound auf.

Fazit: Früh angefangen, ist Hannah Stienen mit ihrer musikalischen Leidenschaft bisher immer am Ball geblieben. Es dürfte spannend werden, wo man ihrer Musik in den nächsten Jahren alles über den Weg laufen wird.

  • Meilensteine:
    • 2011 „Dein Song“-Teilnahme
    • 2014 „Dein Song“-Finalistin
    • 2019 Debut Loslassen
  • Umleitung:

Lui Peng: Electro zum Relaxen

„Chillig“ ist ein Wort, das hier vermutlich noch nie zum Einsatz kam. Aber nicht um sonst wird die Musik von Lui Peng des öfteren so beschrieben, denn man muss zu geben: Das trifft es ziemlich genau.

Der chinesisch-britische Künstler Lui Peng lebt in London und hat vergangenes Jahr neben mehreren Tracks bereits eine EP herausgebracht. Noch recht neu ist seine Single „Just A Phone Call Away“. Für diesen Herbst ist die Veröffentlichung seiner EP Unavailable geplant.
Typisch für Peng ist sein sehr unaufgeregter Sound und die samtweiche Stimme. In seinen Aufnahmen setzt der Musiker viel auf elektronische Effekte, aber auch ganz akustisch mit Gitarre funktioniert seine Musik. Lui Peng verbreitet mit seinen Songs eine schwebende Stimmung und bietet einen Gegenpol zu lautaufzudrehender Rockmusik.

Fazit: Lui Peng liefert den Soundtrack für einen entspannten Nachmittag. Ganz ohne Hektik macht der Sänger Songs, die einen abschalten lassen.