JISKA: Indie-Pop mit Tiefgang

Wenn ihr die Kiste mit alten Fotos aufmacht, in Gedanken fünf Jahre zurückgeht und die Orte von damals besucht, wen oder was seht ihr dann vor euch? Der stetige Wandel, die Ungewissheit und die Suche nach dem eigenen Weg sind die Themen, die die 21-jährige Jana Binder unter dem Namen JISKA musikalisch einfängt. Seit Beginn ihrer Solo-Karriere Anfang 2020 beweist die Sängerin und Bassistin, dass sich auch fröhlicher Indie-Pop mit tiefgründigen Themen auseinandersetzen kann. 

„Was gerade immer wieder in Songs auftaucht, ist das in der Schwebe sein, noch nicht so richtig angekommen sein. Nicht so richtig zu wissen, wo man hingehört und wo man zu Hause ist. Aber auch, dass das total schön ist, in so einer Findungsphase zu sein und noch nicht richtig zu wissen, wo es hingeht.“, sagte JISKA im Interview dem Online-Magazin Fauves. Diese Schwebe lässt sich ihren Tracks schnell heraushören: Die beschwingt-jazzige Grundidee mit teils elektronischen Elementen oder markanten Bass-Passagen fügt sich zu einem Gesamtbild, das so kraftvoll wie sanft daherkommt. In ihrem Song „Strangers“ wird damit ein Gefühl der Entfremdung greifbar – und gleichzeitig entsteht etwas Positives und Tanzbares.
Die Botschaft musikalisch zu verpacken, dass Momente des schmerzhaften Bruchs und des Loslassens integraler Bestandteil unseres Lebens sind und wir sie zum Wachsen sogar brauchen, gelingt ihr ebenso in „Mother’s House“. Der bassige Klangteppich schafft nicht nur Atmosphäre zum Mitgrooven, sondern transportiert auch Ruhe und Gelassenheit. Diese Wirkung tragen die Musikvideos auf visuellem Weg weiter und zeigen, dass JISKA nicht viel Schnick-Schnack braucht, sondern ihre besondere Stimme ganz für sich wirkt.

Fazit: Bleibt zu hoffen, dass der Lockdown JISKAs kreatives Songwriting weiterhin beflügelt. Denn in unserer aktuellen Zeit ist es vielleicht gar keine so schlechte Idee, die alten Fotokisten mal wieder herauszukramen, um menschliches Miteinander zu sehen. Und dann tut es gut, sich von JISKA vorsingen lassen, dass Einsamkeit und emotionale Distanz Gefühle sind, mit denen jede und jeder zu kämpfen hat – und vor allem: dass diese Gefühle temporär sind und auch wieder bessere Zeiten kommen.

Autorin:

Clara Hümmer

Maximilian Guth im Interview: „Komponieren ist wie ein Aquarell zu malen.“

Asambura – angelehnt an die tansanischen Usumbara-Berge – steht nach eigener Aussage für den Blick über den Horizont. Das Ensemble wurde 2013 gegründet, inzwischen besteht es aus um die 50 Mitgliedern mit verschiedensten kulturellen Hintergründen. Im Klartext heißt das: klassische Musik mit zeitgenössischen, interkulturellen Elementen – und nebenbei auch irgendwie eine neue Vision von gesellschaftlichem Miteinander. Als neuestes Projekt hat sich das Asambura-Ensemble Schuberts berühmte Winterreise vorgenommen. Auf seiner CD Fremd Bin Ich Eingezogen interpretiert das Ensemble den alten Meister neu, führt die Kompositionen in die gegenwärtige Zeit und experimentiert mit Klängen und Einflüssen aus verschiedenen Musikkulturen: Streichinstrumente werden so auch mal mit der Bogenrückseite gespielt, Querflöten werden zu Percussion-Instrumenten, der Klang wird mit persischen und arabischen Instrumenten wie Oud, Santur oder Kamancheh ergänzt und zum deutschen Text kommt persische Dichtung. Mit Maximilian Guth, dem Komponisten und künstlerischen Leiter des Kollektivs, haben wir darüber gesprochen, was die Winterreise so zeitlos macht, wie Musik Menschen zusammenbringt und was er an persischer Musik bewundert.

Das Asambura-Ensemble © Ghazaleh Ghazanfari

Musik unterm Radar: Im Asambura-Ensemble arbeitet ihr mit ganzen vielfältigen Elementen was Kulturen, Zeiten und musikalische Einflüsse angeht. Bei einem so oft rezipierten Werk wie der Winterreise – hast du da manchmal die Sorge, dass wichtige Elemente verloren gehen?

Maximilian Guth: Na ja, wenn man eine Neuinterpretation von einem bestehenden Werk macht, dann ist eine andere Seite zwangsläufig nicht so sehr akzentuiert. Ich glaube, dass die verschiedenen Interpretationslinien, die es bei der Winterreise gibt, gleichermaßen funktionieren. Mir ist es aber wichtig, gleich am Anfang zu sagen: Leute, Schubert spricht uns heute noch total an – er ruft zur Solidarität mit ganz vielen Menschen, die auf der Flucht sind, auf. Das ist ein Thema, das unglaublich relevant ist, ob jetzt vor 200 Jahren in einem Kunstlied oder in einer ganz anderen Darstellungsweise – da gibt es Überschneidungen, da kann sich was begegnen. Es ist ein Aufruf zur Solidarität mit Menschen, die so ähnlich fühlen wie das Lyrische Ich auf der Winterreise.

Wie ist diese Idee zu einer interkulturellen Version der Winterreise entstanden?

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Punch Drunk Poets: Poesie mal anders

Gitarre, Gesang, Drums und eine Küche. Die Punch Drunk Poets beweisen mit ihrem neuen Lied „Manifest“, dass es für gute Musik manchmal nicht mehr braucht. Und wenn den Namen „schlag betrunkene Poeten“ irgendeine Band tragen kann, dann diese. Der Mix aus tiefgründigen Texten, Folk, Rock und Indie-Pop zeigt, wie unterschiedlich Poesie sein kann – und dass sie nicht immer leise und auf Samtpfoten daherkommen muss.

Das Quintett aus Paderborn, Köln und Münster plant nach zwei EPs für dieses Jahr ein Debut-Album, ihre Bühnenerfahrung reicht vom WG-Zimmer bis zu Festivalauftritten und Deutschlandtour. Die Poesie-Samtpfoten kommen im neuen Song nun übrigens doch daher – allerdings nur, um gegen Ende Platz für E-Gitarre, Drums und Tanzstimmung zu machen.
Das Spannende an den Punch Drunk Poets ist die Ungewissheit über das, was kommt. Sie machen Musik, die nicht nur ruhig und melancholisch, nur leicht und unbeschwert oder nur laut und rockig daherkommt. Die Emotion schreibt das Lied und nicht andersherum. Oder wie es auf ihrer Website heißt: „Es geht nur darum, die Menschen zu berühren. Wenn das nicht zählt, was dann?“ Diese Palette an Empfindungen schlägt sich im Klang durchweg nieder, der inmitten von profundem Gesang, sanft gezupften Gitarrenparts, Mundharmonika und Mandoline auf der einen Seite und wilderen Drum- und Bass-Einlagen auf der anderen Seite seinen Platz gefunden hat. Auch sonst haben die Punch Drunk Poets einiges zu sagen, setzen sich etwa mit dem Thema Heimat auseinander oder geben in ihrem Song „Manifest“ ein klares Statement für alle Formen der Liebe ab.

Fazit: Wer Lieder mit Durchschlagskraft und Tiefgang sucht, wird bei den Punch Drunk Poets fündig. Betrunkene Poeten muss man nämlich gar nicht immer schlagen – oft lohnt es sich auch einfach gut hinzuhören.

Autorin:

Clara Hümmer

Mykket Morton: Soundmix auf eigene Faust

Kassel, 2016, Kleinstadtromantik und mittendrin vier Jungs mit Cello, Gitarre, Bass und Schlagzeug – das ist die Geschichte von Mykket Morton. Schon der schwedisch-englisch-deutsche Name („mycket-mor(e)-ton“ = sehr viel mehr Ton) lässt auf einen besonderen Soundmix schließen. Der möchte sich genremäßig in keine Schublade stecken lassen und lieber irgendwo zwischen Indie, Folk, Ska und Swing ein eigenes Ding machen.

Vor vier Jahren nahmen Claudio, Philipp, Julian und Marc ihr Debütalbum New World auf und gründeten für die Veröffentlichung kurzerhand das Label Viel Mehr Ton. Als „work in progress“ beschreiben sie ihre Musik: unperfekt, unpoliert, ehrlich, authentisch. Die stürmisch-wechselhafte Klangfarbe nimmt man den Jungs ab – auch mit Chorbegleitung beim Gig in der Waldorfschule.
Was als Projekt zweier Kindergartenfreunde begann, ist längst zu größeren Narrativen geworden. Die selbstgeschriebenen Texte erzählen vom Lieben, Scheitern und von Erfahrungen, in denen man auch immer wieder sich selbst finden kann. Das passiert manchmal rockig, manchmal traurig, aber immer tanzbar. Mykket Morton schaffen es, diese Geschichten auch audiovisuell künstlerisch zu verarbeiten. Der Clip zu „Stranger“ zieht den Betrachtenden etwa auf melancholisch-beschwingte Weise in ein kleines Nussschalenboot umgeben vom Wellengang. Wechsel in der Rhythmik bauen zusammen mit dem Fokus auf Gesang, Gitarre und Percussion eine Spannung auf, die unbeschwert daherkommt. In verschiedenen Tracks stellen die vier zugleich unter Beweis, wie gut sich Mehrstimmigkeit anhören kann. Die facettenreichen Klänge harmonieren und erzeugen Energie, Tiefe und Komplexität.

Fazit: Wer wissen will, wie sich Spontanität und Lebensfreude in Tönen anhört, der ist bei Mykket Morton mit ihrem neuen Lied „Where I Go“ an der richtigen Adresse. Sehr sympathisch auch Philipps Bericht, den er mit Nutellabrot im Mund abgibt: „Wir haben einen neuen Song gemacht, der war eigentlich schon ganz geil. Und dann haben wir den dann doch komplett umgeschmissen. Und jetzt ist er noch geiler. Und haben dann gestern wirklich sehr, sehr spät mal hemmungslos zu diesem Song getanzt. Wir mussten einfach mal tanzen.“ Der Platz außerhalb der Schubladen – so mühselig er manchmal ist, Spaß machen muss er auf jeden Fall.

Autorin:

Clara Hümmer

Evan Klar: Tonmaler und Weltenbummler

Gelassen, leichtfüßig und überraschend berührend – das ist der Selfmade-Pop von Evan Klar. Ein Musiker, der von überall und nirgendwo kommt.

Geboren in Australien trieb es ihn nach Singapur, Deutschland und Großbritannien, heute pendelt er zwischen Melbourne und Berlin. Er macht Musik, wie sie nur die Leichtigkeit des Unterwegsseins komponieren kann. Klar ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. In seinem Schlafzimmer lässt er Tag und Nacht Tonkunst entstehen, schreibt über Dinge, die er selbst erlebt hat. Mal spricht der coole Aussie, der die Klänge strahlen lässt, mal ein junger Mensch, der schwierige Etappen hinter sich hat und seine Melancholie in Lässigkeit verpackt. Inspiriert von großen Namen der Filmmusik wie Philip Glass und Hans Zimmer, arbeitet er mehr mit dem Ansatz eines „Tonmalers“ als mit dem eines typischen Popmusikers.
Das Lied „Sleep“ setzt beispielsweise mit einem Klangteppich aus Atemgeräuschen, Regentropfen und atmosphärischen Klängen ein und schafft damit eine groovige, mysteriöse und dennoch warme Ästhetik. Klar beschreibt es als „Beginn, der Anfang des Erwachsenwerdens, ein Auftakt… wie jemand, der in einem Traum aufwacht“. Diese Empfindung trägt auch der Track „Shoulders“ in sich, den Evan für seinen großen Bruder schrieb, der damals im Krankenhaus lag. Und doch wird deutlich, dass da jemand die Worte aneinanderreiht, der das Leben nicht allzu ernst nimmt. Der frisch erschiene Track „I Do“ erzählt von einer Frau, die ihr altes Leben hinter sich lässt und zu neuen Ufern aufbricht. Den kleinen Jungen in dem dazugehörigen Video möchte man am liebsten an die Hand nehmen, um mit ihm mitzutanzen. Evan Klars Musik kommt nie ohne Fröhlichkeit daher, zeigt sich energetisch und geht trotz experimenteller Elemente (etwa ein kaputter E-Bass oder Gesang durchs Telefon) leicht ins Ohr. Facettenreich macht ihn auch die Idee des Pop-Sängers als „Kollektion von Persönlichkeiten“, die bei seiner Musik mitschwingt und in „Follow me“ zusammen mit dem Elektronik-Duo SŸDE gut gelingt.

Fazit: Wer sich wie ein Reisender auf dem Weg zum Meer fühlen und dem Fernweh freien Lauf lassen möchte, muss nicht gleich in den nächsten Zug oder VW-Bus steigen. Es reicht auch einfach, den Klängen von Evan Klar zu lauschen – oder man macht einfach beides.

  • Meilensteine:
    • 2017 Debut Deepest Creatures
  • Umleitung:

Autorin:

Clara Hümmer für Musik unterm Radar