Weißt du eigentlich, wie egal mir deine Meinung ist, Gehirn?

Einer meiner liebsten Nightlife-Buddies, wir verabreden uns nie, ich habe nicht mal seine Nummer, aber wenn wir uns an den Theken unserer Stadt in die Arme laufen, ist es stets ein großes Hallo, er spielt in einer der weniger schlimmen Gitarrenbands, von denen es zu viele gibt in meiner Stadt, dieser Nightlife-Buddy jedenfalls hat ein Faibel für absurdeste Musik. So berichtet er mir gern von seinen Einkäufen von in minimaler Stückzahl gepresstem Vinyl, die Cover von Hand gestaltet (gern Laubsägearbeiten oder Origami, wenn ich nicht irre), absurd teuer, eingespielt mit zum Teil selbstgebauten Instrumenten, disharmonische Kakophonien und Soundtracks zur Apokalypse. Ich erwidere dann gern Schon die neue Taylor Swift gehört?, was er in der Regel mit einem Fick Dich beantwortet – ich weiß nicht, ob das Ja oder Nein bedeutet – und so nehmen die Nächte im regen Austausch ihren Lauf. 

Was ich sagen möchte: Obwohl wir bis auf ein paar Schnittmengen aus verschiedenen musikalischen Universen stammen, mögen und respektieren wir uns und genießen die Reibereien. Das funktioniert auch, weil er und ich verstanden haben, dass man den popkulturellen Diskurs nicht zu ernst nehmen darf, und schon gar nicht persönlich. Klar ist es part of the game, das Gegenüber mit Bands zuzuscheißen, von denen er/sie im Idealfall noch nie gehört hat, und ich betrüge stets ein wenig, wie Bilbo, als er Gollum im Rätsel-Wettstreit schlug, mit der nicht okayen Frage, was habe ich da in meiner Tasche, wenn ich Taylor oder Harry aus dem Hut ziehe, aber hey, wenn alle Lärm und Gebrüll und rares Vinyl-Gold und Oldschool, und ich so Bubblegum-Pop, wer ist dann der Punk? Und ich wette, mein Buddy hat nie ein Taylor-Swift-Album gehört.


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


Ich werde ja nicht müde, meine Müdigkeit bezüglich Indie in die Welt hinauszuposaunen. Ist eigentlich kein Genre, sag ich dann, ist mir zu retro, zu statisch, zu konservativ und spaßbefreit. Und all diese Argumente sind hieb- und stichfest, bis dann eine Band daher kommt, auf die all das zutrifft, die aber dennoch beim Sehen und Hören großen Spaß bereitet. 

Es war wieder so ein Abend, wo nicht viel ging, ich unruhig war, deshalb auf ins Kult 41, eine Art alternatives Kulturzentrum in meiner Stadt, wo Bier und Eintritt günstig sind, man immer wen zum Quatschen trifft, wo schon die eine oder andere überraschende Perle auf der Bühne zu entdecken war. Und die heißt heute Michael Cera Palin. Aber von Anfang an. Emo-Night ist heute, und wider Erwarten liegen sich nicht alle rührselig in den Armen oder so, nein, es spielen drei Emo-Bands, und das Publikum ist jung. 

Die erste Band möchte an diesem Abend das letzte Konzert mit ihrem Bassisten spielen, aber das haut nicht hin, er ist nicht gekommen, sie spielen ohne, und ich kann in dem Brei aus Gitarren beim besten Willen nichts ausmachen, was mich interessiert. Aber bleiben wir fair, ohne Bass ist halt alles doof. Die zweite Band shoutet amtliche Emo-Parolen durchs Kult, die Leute sind entzückt, ich bin es nicht, aber auch nicht angewidert, was wir hier als Teilerfolg verbuchen. Dann wird es spannend. Michael Cera Palin – Wortwitz verstanden? – sind ein nonstop tourendes Trio aus Atlanta. Bass, Gitarre, Schlagzeug, Bärte und dringender Bedarf an Friseurbesuchen, Second-Hand-T-Shirts, Sänger und Gitarrist in so kurzen Adidas-Shorts, die Sportlehrer trugen, als ich Kind war, was lange her ist, diese Art Hose, wo man aufpassen muss, wie man sich setzt, weil…. das führt hier zu weit, und er setzt sich ja nicht. Im Gegenteil.

Es ist ein Mix aus Pavement und Blink 182, der überraschend gut funktioniert, virtuoses Gitarrenspiel und tricky Drums, alles voll in die Fresse, pathetisch, energetisch, sicherlich retro, aber so gut, dass das an diesem Punkt egal sein soll. Dass die drei Jungs dieses wir-sind-Freunde-die-gemeinsam-das-College-geschmissen-haben-Feeling verströmen, mein Authentizitätsbarometer schlägt voll an und ich habe einen großen Abend mit Bier, in die Luft gereckten Fäusten und einem wohligen Gefühl von früher in der Magengegend. Und dann merke ich, wie selbstlimitierend das holzköpfige Festhalten an einmal gefassten Meinungen ist.

In der nächsten Nacht habe ich meinem Buddy an der Theke davon erzählt. Er meinte, dass ich außer gut aussehen nichts kann. Danke, hab ich erwidert und noch eine Runde bestellt.

Michael Cera Palin auf Instagram | Bandcamp | Spotify


Gefällt dir, was du liest?

Wir schalten bei Musik unterm Radar weder Werbung noch gibt es Bezahlschranken oder gekaufte Produktempfehlungen. Das ganze Team arbeitet ehrenamtlich, weil uns etwas daran liegt, Newcomern eine Plattform zu bieten und euch gute Mucke zu zeigen. Weil bei jeder Website aber Kosten anfallen, machen wir Miese. Wenn dir gefällt, was wir schreiben, würden wir uns sehr über ein paar Euro Unterstützung freuen!

2,00 €

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..