Die Zeiten, in denen eine Karriere im Musikbusiness auf den kleinen Bühnen der eigenen Stadt begann, sind definitiv vorbei. Die Idee, sich erst eine kleine lokale Fanbase zu erspielen, von dort aus weiter entfernte Bühnen, vielleicht Festivals, um neues Publikum zu erschließen – vergiss es. Mach es einfach digital, dann liegt dir direkt die ganze Welt zu Füßen. Für diese These ist David Nevory geradezu ein Paradebeispiel.
Der smarte junge Mann kann kubanisch-amerikanische Wurzeln vorweisen, das ist viel cooler als aus Herne kommen. Er musiziert aus Köln in die Welt hinaus, und das mit der Unterstützung von Saint in the City, einem Independent Label mit internationalen Portfolio. David spielt jene Art soften Singer-Songwriter-Sound, wie er gern aus Kanada kommt, erweitert dieses Setting jedoch um einige interessante Facetten, Synthies, das macht Pop Flair und löscht das Lagerfeuer, es brennen wirklich schon zu viele Lagerfeuer rund um den Globus. Simon & Garfunkel gibt er als Einfluss an, Bruce Springsteen, letzteren höre ich nicht, eher einen weniger wütenden Sam Fender oder einen Ryan Adams ohne Dachschaden. Aber ich bin ja schon mehr als begeistert, wenn sich ein Kölner mit Karriereambitionen nicht aus Verzweiflung im Karneval verdingt.

Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.
Die Texte sind sehnsuchtsvolle kleine Geschichten über die Liebe, das Fernweh, das Heimweh, Seelenfrieden – in Kombination mit Seagazing, so der Titel seines Debüts, ist das eine runde Sache, auch wenn ich mit den Augen rolle, lese ich, das dieses Album ach so persönlich ist. Kann mal irgendein Singer-Songwriter ein total unpersönliches Album aufnehmen, ich möchte gern wissen wie das klänge und ob jemand den Unterschied hört? Aber Schwamm drüber, das Business erwartet gewisses Vokabular, jenseits aller Schubladen musizieren ist sicher nicht Davids Ziel, und es steckt Hirnschmalz in seiner Musik, Herzblut und zweifelsohne Fleiß und Wille zum Erfolg. Meinen allergrößten Respekt genießt er für seinen Mut zum Kitsch, zum großen Gefühl, eine Eigenschaft, die ich oft vermisse bei deutschen Musikern*innen, es sei denn, sie musizieren in Genres, die sich gänzlich darüber definieren wie Schlager, was hier zweifelsohne nicht der Fall ist.
Auch auf TikTok ist er bemüht, seine Fanbase zu erweitern, mit spaßigen Clips, die auch mit Musik zu tun haben, was bleibt ihm anderes übrig – okay, es bliebe ihm vielleicht übrig, eine Band zu starten, das heimische Studio zu verlassen und sich den Arsch abzuspielen, aber ich sah auf Instagram, er ist Vater geworden, dazu herzlichen Glückwunsch, bleib lieber zu Hause und kümmere dich um deine Familie. Und es funktioniert ja zweifelsohne gut so. „You & the Sea“ hat mehr als zwei Millionen Streams auf Spotify.
Leiht David euer Ohr, wenn ihr auf dem Weg in den Urlaub seid, der Sonne entgegen, die ersten Möwen über euch kreisen und ihr das Meer hinter den nicht mehr fernen Dünen bereits riechen könnt.
Autor:
René Grandjean
Gefällt dir, was du liest?
Wir schalten bei Musik unterm Radar weder Werbung noch gibt es Bezahlschranken oder gekaufte Produktempfehlungen. Das ganze Team arbeitet ehrenamtlich, weil uns etwas daran liegt, Newcomern eine Plattform zu bieten und euch gute Mucke zu zeigen. Weil bei jeder Website aber Kosten anfallen, machen wir Miese. Wenn dir gefällt, was wir schreiben, würden wir uns sehr über ein paar Euro Unterstützung freuen!
2,00 €