Ebow: Deutschrap zwischen Liebe und Gesellschaftskritik

Ebows Musik überzeugt mit Kontrast: Ihre Raps sind schonungslos, zeitgemäß, entwaffnend ehrlich und verführerisch. Damit ist die Künstlerin zweifellos eine der zur Zeit authentischsten deutschen Rapper*innen. Ebow kommt gebürtig aus München und ist Enkelin von nach Deutschland immigrierten kurdischen Arbeiter*innen. Die eigene Biografie ist auch Ausgangspunkt für politische Reflektion, die sie in ihren Songs zum Ausdruck bringt: Themen wie die kurdische Diaspora, Rassismus, Queerness und Kapitalismuskritik sind elementarer Bestandteil ihrer Musik.

Im März hat die Rapperin ihr viertes Studioalbum gedroppt: Mit Câne gelingt der Rapperin Ebow ein textlich wie musikalisch facettenreiches Album. Während am Anfang Gangster- und Battle-Rap-Elemente und Lyrics in double-time auf drängenden Beats überwiegen, mündet der zweite Teil von Câne in Tracks über körperliche Anziehung und Verliebtsein. Der Track „ARABA“ bietet mehrsprachige Lyrics auf einem modernen, bassdominanten Trap-Beat gespickt mit Motorengeräusch – denn das türkische Wort araba kann Kutsche, Wagen oder Auto bedeuten. Im Musikvideo sieht man Ebow im hellblauen Lamborghini posen. Der Song mokiert sich gekonnt über hypermaskuline Attitüden im Deutschrap und kontert mit Authentizität und queerem Empowerment. Auf den Beats von Produzent Jonas Tewe Braun behauptet sich die Rapperin mühelos und macht einigen männlichen Deutschrappern Beine. Zwischendurch zitiert Ebow Deutschrapkollegin Shirin David und zeigt, dass sie in der Deutschrapszene emanzipatorische Banden bildet. 

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Musik-News: neues Album von Ferge X Fisherman

Die Fakten:

Band: Ferge X Fisherman
Genre: Rap, Hip Hop, Jazz
Das ist neu: Album Duality (VÖ 01.04.22)
Das steht an: Deutschlandtour im Mai

Die Analyse:

Das neue Album von Ferge X Fisherman, passt perfekt zur Jahreszeit – greift euch ’ne Musikbox oder Kopfhörer, sucht euch einen Platz in der Sonne und lasst die Gedanken zu den Sounds von Duality treiben. Die alternativen Hip-Hop-Beats gespickt mit lässigen Jazz-Elementen erzeugen Entspannung wie ein Mobile über einem Kinderbett – und dabei ist das Album alles andere als einschläfernd. Die Vocals und Lyrics lassen einen in Trance sinken und leiten durch lebendige Geschichten, voller taffer Realitäten, Liebe und Sommer. Ferge X Fisherman haben auf ihrem Album außerdem starke Gäste am Start. Zusammen mit dem japanischen Jazz-Trompeter Akuya Kuroda, dem US-amerikanischen Rapper Black Milk, dem neuseeländischen Soulsänger Noah Slee und Sängerin Hunter Rose aus Südafrika gelingt ihnen ein einzigartiges Gesamtwerk voller bunter Überraschungen.

Autorin:

Hutham Hussein

Sorah: mutiger Hip-Hop made in Berlin

Mit zwölf entdeckt Sorah Hip-Hop für sich und fühlt sich plötzlich verstanden. Heute rappt die Wahlberlinerin mit englischen und algerischen Wurzeln selbst. Furchtlos und kritisch setzt sie sich mit unserem gesellschaftlichen System auseinander, positioniert sich klar gegen Sexismus und jede Form von Gewalt und macht Mut, für sich selbst einzustehen.

Multikulturell sozialisiert durch ihr Aufwachsen in Großbritannien und Frankreich beschäftigt sie sich früh mit gesellschaftlich relevanten Themen. Mit dem Hip-Hop findet sie einen Weg, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken und ihre Botschaften mit der Welt zu teilen. Ihre Texte über das Leben, Feminismus, Selbstbestimmung und gegen Gewalt schreibt sie auf Englisch, Französisch und Deutsch. Sorah flowt selbstbewusst und bestimmt auf düstere, starke Beats. Oft mixt sie in ihren Songs Rap und Gesang und kreiert einen vielfältigen und internationalen Sound mit oldschool Hip-Hop-Vibes und Grime-Einschlägen.
Sorah will mit ihrer Musik aber nicht nur wachrütteln und Kritik üben, sie will vor allem auch eins: Menschen Mut machen und Hoffnung schenken. Ihnen Kraft geben, sich aus Unterdrückung und Unbestimmtheit zu befreien und einen eigenen Weg zu gehen – darum geht es auch in ihrer neuesten Single „Fighters“, die in Kollaboration mit Spoke entstanden und produziert worden ist. 2020 veröffentlichte Sorah ihr erstes Album Frontlines in Zusammenarbeit mit dem Berliner Rapper Intare. Dieses Jahr soll eine neue EP mit noch mehr Solo-Stücken erscheinen.

Fazit: Sorah erschafft mit ihren starken Texten und düsteren Beats einzigartige Hip-Hop-Songs, die herauszufordern, anstecken und ermutigen.

Autorin:

Cosima Endres

Schlakks: funkiger Deutschrap mit Tiefsinn

Erfrischend ehrlich nimmt uns der Dortmunder Rapper Schlakks mit auf eine musikalische Reise durch seine Gedankenwelt. Wortgewandt skizziert er mit seinen Texten Situationen und Gefühle so bildlich, dass wir uns nicht selten selbst in seinen Momentaufnahmen wiederfinden. Reflektiert und selbstkritisch stellt er sich den Fragen unserer Zeit und hat dabei keine Hemmung, über komplexe politische und gesellschaftliche Themen wie toxische Männlichkeit zu rappen.

Die Songs klingen unkonventionell und handgemacht. Schlakks‘ Reimstruktur ist ausgefuchst, er bringt viel Inhalt in kurzer Zeit und das, ohne zu überladen. Frederik Schreiber aka Schlakks lässt sich irgendwo zwischen Moderne und Oldschool mit Funk-Einschlag einordnen und kreiert so seinen ganz eigenen und für Deutschrap eher untypischen Sound. Der Bass ist funky, die Gitarrenriffs unerwartet frech und es fällt schwer, hier nur mit dem Kopf zu nicken. Wir wollen tanzen!
Schlakks‘ langjährige Wegbegleiter Razzmatazz und OPEK sorgen mit für diesen unverwechselbaren Klang und haben auch sein neuestes Album Wir werden von euch erzählen produziert. Die LP ist gerade erschienen und vollgepackt mit dreizehn Tracks, die Bock machen, grübeln lassen und nachwirken. Das Trio spielt im Dezember noch ein paar Liveshows, unter anderem in Hamburg und Bochum.

Fazit: „Das ist mein Leben und das ist eines von vielen. Was bleibt mir denn anderes übrig, als die Scheiße zu lieben?“ rappt Schlakks in seinem Song „Ich weiß nicht, was das ist“. Diese Liebe fürs Leben und die Musik und seine Leidenschaft für Sprache spürt man in jedem seiner Songs – auch deswegen macht es so viel Spaß ihm zuzuhören.

Autorin:

Cosima Endres

YUNUS: erfrischend kontrastreich

Berufsmusiker*in zu sein und bei dem heutigen musikalischen Überangebot herauszustechen, ist gewiss eine Herausforderung. YUNUS schafft es, mit Kopf und Witz neuen Schwung in den deutschen Rap zu bringen.

Bürgerlich heißt der Musiker Johannes Berger, in Sachen Künstlername fiel die Wahl schließlich auf seinen Zweitnamen Yunus. Die Faszination für Rap und Hip Hop hat der Künstler nach eigener Aussage schon früh entwickelt. Nebenbei spielt er außerdem Bratsche und hat sein Faible für gute Texte auch immer wieder erfolgreich als Poetry Slammer unter Beweis gestellt. 2019 veröffentlichte YUNUS seine erste EP Es ist nicht das, wonach es aussieht, Mutter. Im Juni dieses Jahres folgte jetzt die zweite EP Fun Fun Fun.
Darauf finden sich fünf Tracks, die unterschiedlicher nicht sein könnten. „Seh kein Himmel mehr, willkommen in meinem Hong Kong“, heißt es in „Scusi, aber nö“. Der letzte Song der EP „Am Schluss“ ist eine Zeitreise durch Vergangenheit und Zukunft. Die Vocals und der disco-trap-artige Beat wecken Nachdenklichkeit und machen dennoch Laune, während YUNUS in „Bleibst du“ todernst und mit krasser Souveränität tiefe Gefühle auf einem Beat on point von Produzent beatmensch5000 serviert.

Fazit: Durch originelle Lyrics und ein gesundes Maß daran, sich selbst nicht allzu ernst nehmen, catcht YUNUS seine Zuhörer*innen, versorgt sie mit coolem Sprechgesang jenseits des Ego-Trippin’ und glänzt zudem nicht nur wegen seiner weiß-blonden Haare durch absolute Realness.

Autorin:

Hutham Hussein

Red Music: True School direkt aus Berlin

Red Music kombiniert Old-School-Hip-Hop mit modernen Elementen. Ein begabter Musiker und Allrounder, der seine Tracks hauptsächlich selbst in Berlin schreibt, komponiert und produziert.

In Memphis, der Stadt, in der Legenden wie Aretha Franklin, Otis Redding und Elvis Presley ihre Karriere starteten, begann auch die Musikkarriere von Bishop Bledsoe (Red Music) im Alter von 12 Jahren. Zunächst vor allem durch alternativen Rock beeinflusst, entdeckte er als Jugendlicher Hip Hop, Rap und Trap und formte über die Jahre seinen einzigartigen Sound. Seine Debut-EP Right Place Wrong Time erschien im Mai.
Die EP beginnt mit einem absoluten Highlight: „Zoo“. Zu hören gibt’s erst einmal ein gänsehautverursachendes Flötensolo im Intro, dann folgen hohe Klaviertöne und Gitarre. „All I wanna do is escape from out the Zoo“ – dann setzt der Beat ein – „but I’m trapped hoe, the fuck you think we call it Trap fo’?“ Bei dem zweiten Song der EP setzt Bledsoe noch einen drauf. „I can’t concentrate, I can’t contemplate, how they confiscate just to compensate“. Red Music besticht mit Authentizität und originellen Lyrics. Der Rapper übt Kritik an gesellschaftlichen Missständen, thematisiert den Klimawandel und plädiert für eine Überarbeitung des traditionellen Männerbildes. Auf dem letzten Track „Hourglass“ beweist Red Music Schnelligkeit und, dass er spitten kann – und das nicht mit simplen Haus-Maus-Reimen. Tay Keith wäre wahrscheinlich entzückt.

Fazit: Die lyrische Qualität eines Kendrick Lamar unterstützt durch hypermoderne Trap-Charakteristik: Red Music ist ein souveräner Rapper mit coolem eigenen Sound und Style.

Autorin:

Hutham Hussein

Noam Bar: Soulmix mit Power

Die Musik von Noam Bar bleibt nach dem ersten Hören im Gedächtnis. Kein Wunder, bei dieser Palette an Rhythmus und Ausstrahlung.

Benannt ist die Band nach Frontfrau Noam Bar. Die Sängerin und Gitarristin aus Israel hat es mit Stopps in Miami und Madrid nach Hannover verschlagen. Ein Glück, muss man sagen, denn dort scheinen schon vier weitere Musik-Profis nur auf sie gewartet zu haben. Seit 2018 ist die Sängerin nun also gemeinsam mit Tobias Reckfort an den Drums, Bassist Nic Knoll, David Gerlach am Klavier und Laurenz Wenk am Saxophon unterwegs.
Neben der bemerkenswerten Stimme der Sängerin schimmern bei Noam Bar verschiedenste musikalische Einflüsse durch, R&B und Soul treffen auf Hip-Hop und jazzigen Flair. Die fünfköpfige Band sorgt zuverlässig für packenden Rhythmus, stabilen Drive und hin und wieder bluesige Call-and-Response-Einlagen. Dazu gibt es englische Texte über menschliche Schwächen, Ex-Freunde und Kämpfergeist – von Noam Bar schlicht zusammengefasst als „angry woman music“.

Fazit: Noam Bar machen ordentlich Dampf. Die Songs sind dynamisch und reißen mit. Allen voran geht die fantastische Stimme der Sängerin.

Sperling: spannende DIY-Band

Eine markante Stimme, viel Atmosphäre und ein eigenwilliger Sound: Wer Sperling das erste Mal hört, kriegt die Band möglicherweise so schnell nicht aus dem Kopf.

Die fünf Jungs von Sperling verstehen sich als Do-It-Yourself-Projekt. Nach ersten kleineren Veröffentlichungen in den letzten Jahren plant die Band nun für Anfang nächsten Jahres ein Album.
Ob melodisch oder mit rhythmischem Sprechgesang: Die raue Stimme des Sängers klingt, wie vom Leben gezeichnet und fügt sich wunderbar ein in die recht düstere Stimmung der Songs. Getragen wird der Stil der Band auch von einem warmen Cello-Sound – ein passender Gegenpol zur sonst typischen Rock-Besetzung. Auch textlich lassen sich die Songs eher in den dunkleren Spären verorten: Es geht um Depression, Ängste, Einsamkeit. Dennoch hört man gern zu und bleibt fasziniert vom musikalischen Stil der Band zurück.

Fazit: Sperling passen sicherlich eher in die nahende dunkle Jahreshälfte als in die Sommermonate. Die Musik ist mal aufgewühlt, mal sanft und meist liegt über allem ein spannendes Knistern in der Luft.

Maura & Fred Red: musikalischer Herbsteinbruch

Seit einem Jahr haben sie sich zurückgehalten, nun wollen sie wieder starten: Das Duo aus Maura und Fred Red meldet sich mit einer neuen Single und einem besonderen Gast zurück.

Nachdem das gemeinsame Projekt zwischenzeitlich auf Eis lag, da Sängerin Maura mit ihrer Band in Israel auf Tour war und Fred Red mal eben einen Produzenten-Wettbewerb gewinnen musste, lassen die beiden nun wieder von sich hören. Auf die erste neue Single „Lovelottery“ soll wohl in absehbarer Zeit auch ein Album folgen. Mit von der Partie ist außerdem der junge Multiinstrumentalist und Jazzförderpreisträger Malik Diao.
Mauras und Fred Reds Ideen zeigen sich in einem stimmungsvollen Gesamtpaket. Mauras voluminöse, tiefgängige Stimme leitet gefühlvoll durch die jazzige Musik. In „Lovelottery“ steuert Malik Diao neben Klavier und Kontrabass auch etwas Querflöte bei, was dem Song noch einmal eine besondere, sphärische Ebene verleiht.

Fazit: Die Kompositionen von Maura und Fred Red haben eine spannend schwebende Tiefe. Statt allzu verkomplizierter Jazz-Gedanken kommt die Musik trotz Melancholie mit einer gewissen Leichtigkeit um die Ecke.

Die P: Ansage aus Bonn

Ende Mai hat Die P (gesprochen “die Pi”) ihre EP Tape veröffentlicht.  Dabei setzt die Rapperin auf Oldschool-Flow und -Beats. Verzerrte Stimmen und Auto-Tune oder immergleiche Rhythmen sucht man bei ihr vergeblich. 

Schon als Schülerin forderte die Bonnerin ihre MitschülerInnen zu Rapbattles heraus, nach ersten Erfolgen bei den Profis hatte sich die Künstlerin schnell ihren Platz in der Szene erspielt – und zeigt dabei, wie Rap auch funktioniert: Tape kommt ganz ohne zwanghafte Sexualisierung und Geldgeprotze aus, stattdessen geht es um ernste Themen.
Der Track „Respekt“ etwa thematisiert Alltagsrassismus und geht unter die Haut: “Sie haben keinen Respekt vor meiner Farbe / keinen Respekt vor meinen Leuten / das ist keine Geschichte / ich erleb den Scheiß noch heute.”  In „Angesagt“ rechnet Die P mit der Rap-Branche ab. “Das, was gestern scheiße war, ist morgen Trend / zähl lieber Bargeld, denn es zählt kein Talent.” Die Stimme der Bonnerin ist markant und bleibt im Ohr. Dank dieser und ihrem eindrucksvollen Auftreten hat sich Die P auch einen Ruf als außergewöhnliche Live-Künstlerin erarbeitet. Herausgebracht hat Die P ihre EP übrigens beim neu gegründeten Label 365 XX, das als erstes deutsches Rap-Label nur Frauen, Transpersonen und nicht-binäre Menschen unter Vertrag nimmt. 

Fazit: Absolut starker Deutschrap, der das Potenzial hat, eine von Männern dominierte Szene nachhaltig zu verändern. Dazu ist ihr Oldschool-Style eine willkommene Abwechslung in der gegenwärtigen Flut von Soundcloud-Rap. 

Autorin:

Carla Blecke