Meerkatzenblau im Interview: „Die Welt ist so abstrus, da braucht man gar keine Satire“

Sind heutige Musiker zu unpolitisch? Welche Rolle sollten Kunst und Musik in einer Gesellschaft übernehmen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat Musik unterm Radar mit jemandem vom Fach gesprochen: Marie-Christin Sommer alias „Miss Blue“ ist Frontfrau des gesellschaftskiritischen Musik- und Performance-Kollektivs Meerkatzenblau. Ihre Shows tragen das Motto „Freiheit für alle, der Letzte zahlt“ mit spitzen Texten und einer gepflegten Portion Sarkasmus.

Musik unterm Radar: Liebe Marie, wir wollen uns heute über Gesellschaftskritik und die Rolle der Musik unterhalten. Vielleicht können wir ganz allgemein anfangen: Wie würdest du die Aufgabe von Kunst in einer Gesellschaft beurteilen?

Marie-Christin Sommer: Das ist eine Frage, die mich schon seit meinen Anfängen in der Musik begleitet. Ich würde sagen, ein Künstler ist idealerweise ein Sprachrohr, mit dem aktuelles Geschehen für einzelne Personengruppen übersetzt wird, ähnlich wie ihr Journalisten es tut. Natürlich gibt es Musik, die nur dem Selbstzweck dient und in allen Medien findet man auch totale Unterforderung, aber ich finde, dass man sein Publikum nicht unterschätzen sollte. Man kann den Leuten durchaus etwas zumuten, wichtig ist aber, dass das Ganze ohne erhobenen Zeigefinger passiert.

Musik hat in der Vergangenheit schon oft eine große Auswirkung auf die politischen und gesellschaftlichen Debatten gehabt. Sei es Bob Dylan, James Brown, Sting – sie alle haben sich mit ihrer Musik schon in die Diskussionen eingemischt und sind damit bekannt geworden. Fehlt den heutigen Künstlern die politische Message?

Das ist eine zweischneidige Sache: Zum Teil gibt es ja durchaus noch Musiker, die eine Message mitbringen, andererseits sind auch nicht alle Musiker politisch interessiert. Außerdem gibt es in unserem Labelsystem nur wenige einzelne Entscheidungsträger – und die wollen möglichst risikofrei Musik machen. So wird immer wieder auf die gleichen Formeln gesetzt und sich wenig getraut. Das kann entmutigend sein. Die Liedermacher früher waren ja auch nicht immer politisch, aber die haben 90 Prozent ihrer Zeit damit zugebracht, einfach zu beobachten. Das fehlt unserer Musik heute manchmal. Dabei ist unsere Welt so abstrus, dass man oft nicht einmal Satire braucht. Sie zu beschreiben kann für den Effekt völlig ausreichen. In meinem Lied „Aussteigergirl“ habe ich einfach eine Zeit lang das Instagram-Profil einer Bekannten verfolgt, die gerade in Kambodscha unterwegs ist. 30 Flüge in 50 Tagen, dazwischen Einhornmeditation mit irgendwelchen Mönchen am Fluss. Da muss man gar nicht viel mehr dazu sagen.

„Es ist genug für alle da, nur eben nicht für jeden“: Eure neue Single „Die oberen Zehntausend“ thematisiert Luxus und Reichtum. Ist die Schere zwischen Arm und Reich unser aktuell größtes Problem?

Eher die ungerechte Ressourcenverteilung insgesamt. Das fängt bei uns in Deutschland an: Wir sind eins der reichsten Länder und trotzdem brauchen wir Tafeln. Auf europäischer Ebene fangen wir an, uns als „Gated Community“ zu begreifen und schotten uns ab. Dass wir über unsere Ressourcen leben, geht nur noch gut, weil andere deshalb wenig haben. Und natürlich geht es auch ums Klima. Wir reden immer vom Weltuntergang, dabei ist es eigentlich nur unser eigener Untergang. Der Welt ist es egal, ob wir existieren oder nicht.

Welche Themen greift ihr in euren Songs noch auf?

„Hey Ho, Panzer fahren“ beschäftigt sich zum Beispiel mit der Rüstungsindustrie. In „Narzisse (Spiegelbildlove)“ geht es um Narzismus und Selbstoptimierung. Das ist ja in sich schon paradox: Wir schießen tausende Fotos von uns, legen dann aber jede Menge Filter drüber, damit wir uns das überhaupt anschauen können. „Ansichtssache“ thematisiert Probleme aus verschiedenen Perspektiven. Jeder hat seine Probleme und das ist auch okay, aber trotzdem kann es wichtig sein, die in einen anderen Kontext zu setzen.

Was erwartet einen bei euren Shows?

Akustische und visuelle Überforderung. Wir arbeiten mit opulenten Kostümen, popartigem Bühnenbild, Choreografien, sägenden Bässen und dichten Texten. Es gibt viel Inhalt in wenig Zeit und oft eine Zerrissenheit im Publikum: Finde ich das gut und soll ich da jetzt tanzen? Die Texte sind schließlich eher unpraktisch für tanzbare Beats. Am Schluss hat jedenfalls fast nie jemand einer keine Meinung.

Was möchtet ihr mit eurer Performance-Kunst erreichen? Was wäre für euch Utopie?

Uns geht es vor allem darum, einen Diskurs zu schaffen. Oft gehen wir ja gezielt zu Veranstaltungen, die unsere Meinungen und Interessen vertreten. Mit unserem Spagat zwischen anstrengenden Inhalten und Popmeldodien, die auch im Radio laufen könnten, bringen wir hoffentlich Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zusammen. Leute, die solche Texte normalerweise nicht hören, finden über unsere Musik vielleicht genauso den Zugang, wie Leute, die politische Themen nur aus der alternativen Musikszene kennen. Wir lassen uns auch gern kritisieren und wollen den Austausch. Mein Utopiebegriff geht in die gleiche Richtung: Ideal wäre für mich, wenn wir alle bei gesunder Streitkultur und Achtsamkeit respektvoll miteinander und mit unserer Umwelt umgehen würden.

Das Debut-Album von Meerkatzenblau wird gerade track-by-track veröffentlicht. Das Release des nächsten Songs steht am 30. März an. Auch Auftritte auf Festivals, Club- und Theaterbühnen sind für dieses Jahr geplant, Infos dazu werden zeitnah auf der Website der Katzen veröffentlicht. Dort ist auch das Video zur aktuellen Single „Die oberen Zehntausend“ zu sehen.


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