Als Jugendlicher war Mal Élevé (zu deutsch: „schlecht erzogen“) Punk, später dann Sänger von Irie Révoltés. Jetzt musste der Musiker improvisieren, denn das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 stellt die Musikszene derzeit gehörig auf den Kopf. Nachdem die Releaseparty für sein erstes Solo-Album Résistance Mondiale nicht stattfinden konnte, sollte das Konzert von einem Kameramann gefilmt und live übertragen werden. Allerdings: Der Kameramann musste plötzlich selbst in Quarantäne – er hatte Kontakt zu einer infizierten Person gehabt. Auf eigene Faust streamte Mal Élevé das Konzert schließlich mit dem Handy. Im Interview sprach er über sein Konzert ohne Publikum, Hamsterkäufe und den Wunsch nach einer weltweiten Protestbewegung.
Musik unterm Radar: Im Moment gibt es überall nur ein großes Thema. Wie geht es euch Musikern mit den Einschränkungen durch das Virus?
Mal Élevé: Uns geht es natürlich allen ziemlich scheiße. So wie vielen Leuten gerade. Aber wir waren einfach mit die ersten, die betroffen waren – es fing ja mit dem Verbot von Großveranstaltungen an, das sind natürlich vor allem Konzerte. Meine Releaseparty musste abgesagt und die ganze Tour, die jetzt anstand, verschoben werden. Für uns, die Musik machen, ist es auf jeden Fall für das Live-Geschäft ziemlich beschissen.
Dein Releasekonzert hast du dann im Internet gestreamt. Wie fühlt es sich an zu wissen, dass einem gerade Leute zugucken, die man aber nicht sieht?
Es ist ein bisschen komisch. Und was beim Streamen natürlich gefehlt hat: Bei Konzerten ist es oft so ein Energie-hin-und-her-Schieben. Das kann man nicht ersetzen. Das Gute ist aber, dass mir Musik so viel Spaß macht, dass ich mich da nicht überwinden muss, aus mir herauszukommen. Wenn ich selbst Musik höre, raste ich auch aus. Wenn ich einen Song feiere, höre ich ihn rauf und runter, ich kann den nicht tothören. Alle um mich herum leiden da.
Solidarität ist in deinen Songs ein zentrales Thema. Was kam dir in den Kopf, als du von Hamsterkäufen und Corona-Partys gehört hast?
Die Corona-Partys zeigen sozusagen die hedonistische Front. Leute, die nur an sich denken und Hauptsache, sie haben Spaß und können Party machen. Das hat mich schon geärgert. Dabei haben ja auch die Clubs sofort gesagt: Ist zwar schade, aber natürlich schließen wir jetzt. Wir müssen jetzt an alle denken. Was diese Hamsterkäufe angeht – das hat gezeigt, wie schnell Panik ausbrechen kann. Da habe ich mir gedacht: Krass, lass hier mal eine echte Krise kommen, wo es Knappheit gibt. Denn Knappheit haben wir ja gerade gar nicht. Ich hoffe nur, dass manche jetzt ansatzweise nachvollziehen können, wie es sich anfühlt, wenn man eben nicht weiß, wie es am nächsten Tag weitergeht. Die Leute auf der Flucht haben das tagtäglich. Leider müssen Menschen ja oft Dinge selbst erleben, um Empathie zu empfinden.
Da merkt man jetzt schon, welche politische Linie du vertrittst. Wie viel Wert legst du darauf, neben einem Musiker auch ein Aktivist zu sein?
Das ist mir sehr wichtig. Ich sehe mich als „Musical Activist“. Das eine geht für mich nicht ohne das andere. Ich kann nicht aktiv sein ohne Musik. Und andersrum kann ich Musik nicht inhaltslos machen.
Dein erstes Solo-Album ist gerade herausgekommen. Wie war die Resonanz bisher?
Ich bin überwältigt, ehrlich gesagt. Ich habe krasserweise vorhin (das Interview fand am 27. März statt; Anm. d. Red.) die Nachricht vom Label bekommen, dass es auf Platz 15 in den Albumcharts steht. Mit sowas habe ich überhaupt nicht gerechnet!
„Wenn du die Welt vom Weltall aus siehst, dann gibt’s keine Grenzen.“
– Mal Élevé
Welche Sprachen kommen in deinem Titelsong „Résistance Mondiale“ vor? Wer hat dir mit den Texten und der Aussprache geholfen?
Ich singe auf Deutsch, Spanisch, Italienisch, der Kreol-Sprache von Guadeloup, Französisch, Wolof aus dem Senegal, Arabisch und Türkisch. Französisch und Deutsch sind meine Muttersprachen, Spanisch kann ich auch etwas, weil ich Familie in Spanien habe. Da hat mir beim Texteschreiben mein Freundeskreis geholfen. Wolof konnte ich auch schon ein bisschen und bei den anderen Sprachen habe ich fleißig die Aussprache geübt. Ich liebe Sprachen. Deshalb war es mir auch wichtig, den Song auf verschiedenen Sprachen zu schreiben und die auch selbst zu singen.
Warum findest du eine weltweite Bewegung so wichtig, dass du dein Album danach benannt hast?
Weil Grenzen menschengemacht sind. Wenn du die Welt vom Weltall aus siehst, dann gibt’s keine Grenzen. Deshalb hören Themen ja auch nicht mit Grenzen auf. Die waren vor 100 Jahren anders und können morgen auch wieder anders sein. Für mich gibt es grundlegende Themen, die alle betreffen. Es geht darum, wie wir zusammenleben wollen. Durch die Globalisierung gibt es ja schon eine weltweite Vernetzung, allerdings nur für Güter und vielleicht für Wissen, aber eben nicht unbedingt für Zusammenhalt. Es ist natürlich gut, bei sich vor der Haustür anzufangen, aber genauso wichtig ist es, sich zu vernetzen, sich zu unterstützen und Ideen zu teilen. Auch um zu merken: Was wir hier kennen, ist nicht die einzige Wahrheit.
Mal Élevé ist bei Facebook, auf Instagram und hat eine Website. Sein Solo-Debut Résistance Mondiale ist am 20. März erschienen. Neben seiner Arbeit als Musiker engagiert er sich für Organisationen wie Viva con Agua oder Seawatch und bringt Rollstühle in den Senegal.
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Ein tolles und interessantes Interview! 🙂 Irie Révoltés habe ich früher ganz gerne gehört, aber von den Solopfaden von Mal Élevé habe ich bis gerade eben noch nichts gewusst. Danke für die Inspiration. 🙂
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