Behind The Scenes: Die junge Musikszene der Berliner Festspiele

Ein gewisser Bodo Wartke hat hier im zarten Alter von 19 Jahren schon gespielt genauso wie ein damals noch gänzlich unbekannter junger Liedermacher namens Philipp Poisel: Einmal im Jahr werden Jugendliche und junge Erwachsene mit besonders vielversprechendem musikalischen Talent aus ganz Deutschland nach Berlin eingeladen. Das Treffen junge Musik-Szene ist Teil der Berliner Festspiele und wird vom Ministerium für Bildung und Forschung gefördert. Dieses Jahr fand es vom 23. bis 28. November statt. Wir durften uns etwas umschauen.

© Katharina Köhler

Die Musik ist ihre große Leidenschaft. Das merkt man sofort beim Eröffnungskonzert des Treffens junge Musikszene, bei dem alle Preisträger*innen nacheinander zwei Songs präsentieren. Die klassischen Rockbands sind dabei, Rapperinnen und Rapper, Producer, tolle Stimmen, kreative Texte und auch Stücke, die ins Jazzige, Experimentelle oder Richtung Klangkunst gehen. Da kommt schnell der Gedanke auf, dass man von dem ein oder anderen in Zukunft noch mal hören wird.

Noch ist der Anspruch aber ein anderer: „Es geht nicht um glatte Perfektion. Hier will niemand irgendwen vermarkten“, sagt Susanne Chrudina. Die Regisseurin und Autorin ist die Leiterin der Bundeswettbewerbe der Berliner Festspiele, zu denen auch das Treffen junge Musik-Szene gehört. „Wir suchen Musiker*innenpersönlichkeiten: Wo spürt man ein besonderes Ausdrucksvermögen, wo hören wir Ungewöhnliches, wer traut sich etwas?“

„Wir wünschen uns, dass die Treffen Freiräume sind ohne äußeren Druck und Erwartungen.“

– Susanne Chrudina

Maximal 21 Jahre alt darf man sein, um sich zu bewerben – die Jüngsten dieses Jahr sind 12. Neben dem öffentlichen Konzert im Haus der Berliner Festspiele steht für die Preisträgerinnen und Preisträger noch einiges anderes auf dem Programm, darunter eine Videoanalyse vom Auftritt, Workshops, Einzelcoachings und natürlich Jam-Sessions. Begleitet und angeleitet werden sie dabei von den erfahreneren Musikerinnen und Musikern aus der Jury. Der Grundgedanke bleibt aber: Die Teilnehmenden sollen sich in einem geschützten Rahmen ausprobieren dürfen, während die Profis wo sie können unterstützen und mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Susanne Chrudina
© Anette Hauschild

Auch deshalb steht das Konzert gleich zu Anfang auf dem Programm, so wird jedes eventuelle Lampenfieber schon gleich abgehakt. „Wir wünschen uns, dass die Treffen Freiräume sind ohne äußeren Druck und Erwartungen“, sagt Leiterin Susanne Chrudina. Statt in mehreren Runden Bewerber*innen auszusieben und den einen Sieger zu küren, kommen alle, die von der Jury mit ihrer Bewerbung ausgewählt wurden, schon als Preisträger*innen nach Berlin. „Das Einzige, was wir möchten, ist, dass die Künstler*innen offen sind, die Perspektive zu wechseln und mal etwas anderes auszuprobieren.“

Um beim Treffen junge Musik-Szene dabei sein zu können, bewerben sich jedes Jahr Musikerinnen und Musiker aus ganz Deutschland mit ihrer selbst geschriebenen Musik – das können die typischen Songs mit Text sein oder seit diesem Jahr auch Instrumentalstücke, elektronische Tracks oder auch Filmmusik. Je einen Track pro Preisträger*in kürt die achtköpfige Jury aus Musiker*innen, Produzent*innen und Komponist*innen zum Siegersong. Ein Blick in die Lyrics zeigt, welche Themen die Newcomer bewegen: Klimawandel, Krieg, Pandemie und Geschlechtergerechtigkeit sind genauso dabei wie Beziehungen und das Erwachsenwerden.

Marco Trochelmann (li.) und Volkan Türeli sind Jurymitglieder beim Treffen junge Musik-Szene. ©Katharina Köhler

„Die Preisträgerinnen und Preisträger werden mit einem Song ausgewählt. Und dieser Song muss in irgendeiner Weise herausragend sein“, so Marco Trochelmann, ehemaliger Teilnehmer und inzwischen seit über 20 Jahren Juror. Er und sein Jurykollege Volkan Türeli nehmen sich Zeit, von ihrer Arbeit zu erzählen. Stilistische Vielfalt, Handwerk und die Fähigkeiten am Instrument würden genauso in die Auswahlentscheidung einbezogen wie die Texte, sagt Türeli. „Es geht uns auch um Haltung und Inhalte: Ein sexistischer oder rassistischer Song kann so gut sein, wie er will, aber der wird es nie schaffen.“ Beim Hören setzen die Jurorinnen und Juroren das Ergebnis auch in Relation zum Hintergrund der Musikerinnen und Musiker: Wie alt sind sie, welches Equipment haben sie zur Verfügung, wie viel Potential steckt noch drin?

Um ausgewählt zu werden, muss man nicht zwangsläufig schon kurz vorm Plattenvertrag stehen, Schüler*innenbands sind genauso willkommen. Marco Trochelmann: „Leute, bewerbt euch! Mitmachen, einsenden, versuchen. Ob du genommen wirst oder nicht: In jedem Fall ist es ein Statement.“ Und selbst, wenn es beim ersten Mal nicht klappt: „Man hat ja bis 21 Zeit und kann sich so oft bewerben, wie man will. Man kann daran arbeiten ein bisschen besser zu werden und es dann noch mal versuchen. Die Absage soll nicht entmutigend sein“, sagt Türeli.

Bei Kira hat sich genau das ausgezahlt: Die 19-Jährige hatte sich schon zwei Mal beworben, bevor es dieses Jahr geklappt hat und sie mit ihrem Duo kiraundleander ausgewählt wurde. „Krass, wie viele talentierte Menschen in unserem Alter aus so unterschiedlichen Genres aufeinander treffen können“, beschreibt sie ihren ersten Eindruck. „Als wir alle angekommen sind, war auch sofort dieses Wettbewerbsgefühl weg: Wir sind jetzt einfach eine coole Gruppe, die Zeit hat, zusammen Musik zu machen und coole Sachen zu lernen.“


Weiterlesen auf Seite 2: „Hier hat man einen Stellenwert, den man sonst nicht genießt. Hier wird man wertgeschätzt.“


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