Live-Report: Tim Vantol rockt Berlin wie ein Heimspiel

Konzerte von Tim Vantol sind ein Phänomen: Denn obwohl der Niederländer mit seiner Familie auf dem Land in Deutschlands Süden wohnt und zum Tourauftakt gleich zwei ausverkaufte Konzerte in Nürnberg hingelegt hat, fühlt sich dank seiner treuen Fangemeinde irgendwie jedes seiner Konzerte an wie ein Heimspiel – so auch der Donnerstagabend im Cassiopeia auf dem Berliner RAW-Gelände. Das liegt natürlich auch daran, dass Vantol seit inzwischen 14 Jahren mal mit Band oder wie jetzt solo als Tourmusiker unterwegs ist und kaum noch jemandem etwas beweisen muss.

Tim Vantol spielt im Cassiopeia vor seinen Berliner Fans – die meisten davon Wiederholungstäter.
Alle Fotos: © Musik unterm Radar

Als Support Act hat Tim Vantol einen guten Freund mitgebracht: Iván Pérez von True Mountains aus Galicien. Der bringt die Songs, die eigentlich klar für eine Bandbesetzung geschrieben sind, auch wunderbar allein auf die Bühne und man ahnt gleich, warum Tim und er sich gut verstehen: Da ist ein entspannter, sympathischer Vibe zwischen Bühne und Publikum, eine raue Stimme und eine leicht brutalistische Art, Gitarre zu spielen. All das wärmt den Raum doch schon gut auf.

Iván Pérez von True Mountains.

Das klappt außerdem trotz einer eigentlich essenziellen Herausforderung: Pérez’ Gitarre ist nämlich in der Post verloren gegangen, wartet nun wohl vereinsamt an einem unbekannten Ort zwischen Galicien und Deutschland und ist jedenfalls nicht in Berlin. So musste er also ungeplanterweise durch die halbe Hauptstadt tingeln, um rechtzeitig Ersatz zu finden. Die neue Gitarre und er scheinen sich aber bis auf kurze Tuning-Unterbrechungen zum Glück auf Anhieb zu verstehen. Nachdem beim Refrain von „Fuck Television“ die ganze Meute noch mal begeistert mit eingestiegen ist, übergibt Iván Pérez schließlich an den Headliner.

Epische Hymnen und textsicheres Publikum

„Prost Berlin“, begrüßt der seine Zuschauerinnen und Zuschauer mit erhobenem Bierchen und man kauft ihm sofort ab, dass es auch für ihn immer noch etwas Besonderes ist, wieder unterwegs zu sein. Dass es seinen Fans so geht, ist sowieso klar. Die traditionellen Mitsingpassagen schallen ihm mit Power entgegen und Tim wirkt ähnlich beseelt wie sein peaciges Publikum. Man will ja nicht schon wieder mit Corona kommen, aber: Momente wie diese haben uns allen doch lange gefehlt.

Überhaupt wirkt Tim Vantol auf der Bühne ganz in seinem Element. Er war nie einer mit über-intellektuellen, metaphorisch aufgeladenen Songtexten oder erhobenem Zeigefinger, er ist kein verkopfter Lyriker und auch kein exzentrischer Virtuose. Tim Vantol ist einer, der sein Ding macht, und zwar mit einer Leidenschaft, die bei Konzerten wie diesem ganz unmittelbar überschwappt. Seine Songs sind straight forward, er schreibt ehrlich über die Hochs und Tiefs des Lebens, über Freundschaft und Verlust – Folkrock mit Herzblut eben. Seine Spezialität sind die epischen Hymnen, die einen gleichzeitig ausgelassen und nostalgisch werden lassen und die live sowieso immer am besten funktionieren.

Tim Vantol braucht auch keine klare Engelsstimme, denn er hat nun mal diese bodenständige Anpack-Mentalität und ein Talent dafür, dass in einem Kellerraum irgendwo in Berlin unter lauter fremden Menschen eine ganz familiäre Stimmung aufkommt. Es ist auch von Anfang an völlig klar, dass viele hier nicht auf ihrem ersten Vantol-Konzert sind. Bei Tims Frage, wer denn neu dabei sei, gehen auch tatsächlich nur vereinzelte Hände nach oben, woraufhin er sich über die „neuen Gesichter“ ebenso freut wie über die „alte Gang“.

„The Hardway“ statt „Highway To Hell“

Tim Vantol erzählt auch, wie er vor dem Tourauftakt den Fehler gemacht hat, auf Social Media seine Follower zu fragen, welche Songs er denn auf jeden Fall spielen solle. Jetzt müsse er zwangsläufig Leute enttäuschen, denn „sonst sind wir morgen noch hier.“ Dagegen hätte das Publikum eindeutig nichts, und wie auf Befehl schallen aus allen Ecken wieder Songwünsche in Richtung Bühne – auch wenn „Highway To Hell“ wahrscheinlich nicht ganz ernst gemeint war. Mit dem Vantol-Classic „The Hardway“ sind dann aber alle zufrieden.

Mit dem mehrsprachigen „Nothing“, „Broken Mirror“, „Let It Pour“ und einer ganzen Reihe weiterer Songs hat Tim Vantol überhaupt viele alte Bekannte auf der Setlist. Und Songs wie „No More“, „5 Inch Screen“ oder „Tell Them“ vom letzten Album Better Days eignen sich für die Bühne eh noch mal viel mehr als fürs Studio. Zwischendurch bastelt Tim Vantol ein bisschen herum, spielt „I’m Gonna Be“ von den Proclaimers als Intro zu seinem „Lost in the Unknown“ an oder strickt bei „Hands Full of Dust“ ein wenig Bob Dylan mit ein.

Tim Vantol und Pérez spielen unplugged.

Zum Schluss fragt er ganz spontan noch mal seinen Kumpel Pérez, ob der nicht noch einen Song mitspielen wolle. Um dem Tontechniker den plötzlichen Stress einer nicht angekündigten Planänderung zu ersparen, kommen die beiden kurzerhand in die Mitte des Publikums und spielen „If We Go Down, We Will Go Together“ – ohne das Tim Vantol natürlich niemanden nach Hause schicken kann – als unplugged-Version.

Als Zugabe gibt’s schließlich „Sorrow“ von Bad Religion und natürlich den Titelsong von Tour und Album „Better Days“. Das tut gut, denn der Song gibt einem irgendwie ein bisschen die Zuversicht an die Hand, dass trotz allem Mist, der gerade auf der Welt passiert, vielleicht doch Hoffnung besteht für die Zukunft. Mit diesem Gedanken verabschiedet auch Tim seine Fans: „Bleibt nett zueinander. Passt aufeinander auf. Das brauchen wir jetzt gerade.“

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