Jeff Bridges ist mir in seiner Rolle als der Dude im großartigen The Big Lebowski ein echtes Vorbild. Ohne Schnickschnack lebt er einen entspannten Alltag jenseits überzogener Erwartungshaltungen, überkandidelter Ziele oder nervenaufreibendem Ehrgeiz. Mit den Kumpels zum Bowling, was kiffen, ein gut gemixter White Russian und ein Plausch an der Bar, was will man mehr. Was braucht man mehr? Nahezu buddhistisch, sicherlich stoisch, mag ich nicht nur die Figur – auch Jeff Bridges, tatsächlich Buddhist, ist im Alter smart as fuck. Das strebe ich an, aber erst im Alter, also stay tuned.
Die Ereignisse in The Big Lebowski nehmen ihren Lauf, als deutsche Nihilisten dem Dude die Tür eintreten, ihm ein Frettchen in den Schritt werfen und auf seinen Teppich pissen. Jenen Teppich, der das Zimmer erst richtig gemütlich macht. Alles wegen einer Verwechslung. Was lernen wir daraus? Egal wie friedlich, bescheiden und unter dem Radar du dein Leben führst, es kann sein, dass plötzlich wer deine Tür eintritt und auf deinen Teppich pisst.
Die gewaltbereiten Nihilisten im Film sind eine Techno-Band namens Autobahn, ihr Album heißt Nagelbett. Das ist eine wenig subtile Reminiszenz an Kraftwerk, die Väter des Techno, die Beatles der elektronischen Tanzmusik, und unter Umständen eine Vereinigung eher unlustiger ältere Herren, die ihr Erbe augenscheinlich vehement verteidigen, sollte es zum Beispiel jemand wagen, sie zu samplen. Würde ich persönlich gelassen sehen, sogar als Zeichen des Respekts, bediente sich jemand an meinen Ideen, die mich bereits reich und berühmt gemacht haben. Aber das ist zum einen nie passiert, zum anderen ist da nicht jeder ein Dude (im Umkehrschluss aber auch deshalb kein gewaltbereiter, mit Frettchen werfender und Türen eintretender Nihilist).

Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.
Ich sah Kraftwerk neulich live, wobei ich nicht weiß, inwiefern der Begriff live hier zutreffend ist. Sie standen zumindest auf der Bühne. Licht, Videos, Kostüme und Sound waren toll. Ihr Backkatalog, über jeden Zweifel erhaben. Zuhause Kraftwerk hören, konnte ich nicht etablieren. Ist mir zu altbacken. Mehr Ingenieurskunst als Musik. Dennoch Respekt en masse vor dem Werk der Roboter aus Düsseldorf und vor ihrem Pioniergeist. Als Einfluss auf vieles, das ich liebe, gibt es kaum eine Doku über House oder Pop, wo nicht namhafte Größen wie David Bowie oder Jeff Mills eine Kraftwerk-Platte in die Kamera halten und “Yes” sagen. Kraftwerk ist Legende, und das, wie so oft, noch mehr jenseits der Homebase Deutschland.
Dieser Legendenstatus treibt Blüten wie Autobahn in amerikanischen Filmproduktionen oder das Musikprojekt Tiergarten des Londoners John Topley. Lautmalerisch sollte ihn der Name an Kraftwerk erinnern, schreibt er im Infotext, und ich schreibe, das ist ihm geglückt. Ich sehe davon ab, mich hier und jetzt zu echauffieren, wählt man Bandnamen in unbekannten Sprachen, habe ich doch selbst in einer Band gespielt, die Sinus Linus hieß, und wir hatten damals zumindest rudimentäre Kenntnis der englischen Sprache.
Instagram machte mich auf Tiergarten aufmerksam, spülte mir einen weirden Clip in die Stories. Wir sehen Wolken, mediterrane Landschaften, Tänzer, mehr Wolken, Denkmäler, und die Lyrics verraten uns, der Song “What Would Markus Do?” handelt von Mark Aurel. Ich kann wirklich nicht so tun, als würde mich das irgendwie kicken. Der Eighties-Vibe, in diesem Fall mit einem unangenehmen Esoterik-Beigeschmack, der vermutlich so nicht gewollt war, hat mit Kraftwerk nicht mehr zu tun, als zwei R im Namen. Stellt sich zum einen die Frage, wie sinnvoll es ist, dem Sound einer Band nachzueifern, der seinen Charme daraus speist, dass er vor 40 Jahren modern war, innovativ, neu – zum anderen, trauriger Fakt, hat das, was Tiergarten produziert, mehr mit Michael Cretu-Produktionen wie Sandra oder Enigma zu tun. Das ist der Kram, den euch eure örtliche Eighties-Revival-Party verheimlicht. Wirklich übel und zurecht vergessen. Warum also kein Name, der lautmalerisch an Enigma erinnert? Agrippa zum Beispiel, auch so ein römischer Was weiß ich denn, wie der bereits besungene Mark A. Ich helfe, wo ich kann.
„Yesterday’s Tomorrow“ versucht sich am Minimalismus, wie wir es aus Tracks wie „Numbers“ kennen. Ist “A Selfie With You” ein moderner Song, weil das Wort „Selfie” drin vorkommt? Nein. Gar nicht lange her, da hätte John Tapes seine Musik an Freunde verkauft, die hätten ihm wohlwollend gelauscht und alle wären zufrieden gewesen. Heute bewirbt John seine Musik auf Instagram, verspricht mir Kraftwerk, ich widme ihm deshalb meine Zeit und bin unzufrieden mit dem Outcome. Eben weil man heutzutage in Eigenregie global releasen kann, sollte man die Qualität des eigenen Werks umso mehr kritisch hinterfragen. Sonst gibts halt auch mal aufs Maul. Aber schönes Hobby. Raus jetzt.
Autor:
René Grandjean