Männer, die auf Gitarren starren

Ein Mensch ist prima, zwei Mensch ist Ärger. Mein Nähkästchen quillt über, ich plaudere mal etwas raus:

  • Neulich habe ich mich einer Gruppe von Podcaster*innen angeschlossen. Nach der ersten Aufzeichnung gab es Stunk, Diskussion, keine große Sache, es ging lediglich um ein Geräusch, und schon war ich kommentarlos vom Telestammtisch-Server gelöscht.
  • Als ich einen Moment nicht aufpasste, war meine letzte Band nicht mehr die meine und ich sah mich gezwungen, zu gehen.
  • Eine Paarbeziehung scheiterte an meiner Weigerung, mein Hab und Gut zu versetzen und in einem umgebauten VW-Bus um die Welt zu fahren.
  • Die Jungs aus meiner ersten Band, lange her, waren für ungezählte Jahre meine besten Freunde und Gefährten. Die Band zerbrach am Erfolgsdruck, die Freundschaften gleich mit.

Mensch und Mensch, so scheint mir, geht nicht. Egos kollidieren, Vorstellungen decken sich nicht, Pläne führen in verschiedene Richtungen. Ich persönlich habe kaum Bezug zu den Fantastischen Vier (zu der Band, die Superhelden mag ich sehr), aber der Band verdanken wir einen schönen Ausspruch, der mir oft in den Sinn kommt, wenn ich was auch immer mit anderen Menschen auf die Beine stellen will: Kein Applaus für Scheiße. 

Klar, des einen Scheiße ist des anderen Schokolade. Sein Plan, ihre Idee, die mich angeht, mich involviert, sind gut gemeint, mit Leidenschaft befeuert, aber deshalb auch gut? 

Hör mal, ich habe eine großartige Idee für einen Song. Schau mal, meine Arbeitskollegin sagt, dass man dort wunderschön Urlaub machen kann. Probier mal, ich habe ein neues Rezept getestet. Wir sollten uns öfter mit Thomas und Tanja zum Brettspielabend treffen, die beiden sind voll nett. Nein, sollten wir nicht. 


Unser Autor René ist selbst Musiker und passionierter Pop-Fan. Als etwas älteres Semester musste er von Boybands in Baggy Pants über Grunge bis K-Pop schon so einiges mitmachen. In seiner Kolumne „riffs & rants“ blickt er für uns mehr oder weniger regelmäßig auf neue Musik, Trends und Pop-Phänomene.


Ich räume ein, eine Konstante in diesen Geschichten des Scheiterns bin ich. Gute Miene zum bösen Spiel ist nicht so meins. Ist der Urlaub mies, fliege ich weiter. Schmeckt das Essen fad, bestelle ich Pizza. So bin ich dann sonnengebräunt und satt, aber vielleicht wieder Single. Alles hat Konsequenzen. 

Um so mehr beeindruckt es mich, wenn zwei oder mehr Menschen über Jahre hinweg eine Beziehung etablieren, die funktioniert. Aus Liebe, Verbundenheit, Freundschaft, vielleicht weil man gut zusammenarbeitet wie zum Beispiel die altehrwürdigen Pet Shop Boys. Vielleicht auch, weil man sich braucht, wie Martin Gore und Dave Gahan. Es heißt ja, dass die Stimmung bei Depeche Mode nicht die Beste ist, dennoch raufen sie sich immer wieder zusammen, produzieren Alben und touren. Im Folgenden möchte ich ein paar Bands vorstellen, die schon aufgrund ihres langen Atems eine Erwähnung verdient haben – und weil es ihnen gelungen ist, sich nicht gegenseitig umzubringen. Dafür ist es ja nie zu spät. Here we go.

Hammerhead sind eine etablierte Hardcore-Punkband, streng genommen gar nicht unter dem Radar, wenn auch Szene, und brauchen sicher keinen Support eines Blogs. Lange vor ihrer Musik kannte ich ihre T-Shirts, es gibt nicht wenige Prominente, die sich als Fans zu erkennen geben, von Olli Schulz bis zum kürzlich leider verstorbenen Thorsten „Torsun“ Burkhardt. Sie produzierten über die Jahre einen Haufen Musik, eine autobiografische Doku, spielten mit Bands wie Gorilla Biscuits oder Quicksand, und schockten erfolgreich mit Dieter Degowski, Silke Bischoff und einer Pistole auf dem Cover ihres Debüts. Seit 1989 aktiv laut Wikipedia, mit ein paar Jahren Pause und lediglich einer Umbesetzung – das spricht dafür, dass die Jungs sich mögen, brauchen oder sonst nichts Sinnvolles mit ihrer Zeit anzufangen wissen. Gelegentlich treffe ich einen Hammerhead an der Theke, und man mag erwarten, dass er eine Menge Schaden anrichtet mit seinem unförmigen Schädel. Tatsächlich ist er aber ein sehr angenehmer Zeitgenosse. Ich verrate hier nicht, welcher es ist, um das Rabauken-Image nicht zu beschädigen. Punk hin, Punk her, Hammerhead verdienen Respekt für ihr Gesamtwerk, die Provokation, die unbequemen Auftritte an den richtigen und falschen Stellen – mehr dazu seht ihr in ihrer Doku „Sterbt Alle!”. Werden wir, versprochen.

Nachdenken über Deutschland, ihr erstes Album seit 1998 (zu viel Theke?) ist soeben erschienen, und ich halte das für eine gute Idee, das Nachdenken. Die Single trägt den Titel “Autofahrerhose”, das muss man doch lieben. Ist halt immer voll in die Fresse. Gitarren wie Kettensägen und angebrüllt werden. Schon auch geil.

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Dear Wolf aus Krefeld ist auf mehreren Ebenen für mich wichtig. Zum einen sagte deren Bassist irgendwann Mitte der Neunziger zu mir und meinen Band-Buddies: „Warum macht ihr eigentlich keine CD?“ Wussten wir auch nicht und taten dies dann. Zum anderen war Dear Wolf eine poppige Explosion in der niederrheinischen Musikszene der frühen Neunziger. Ihre Konzerte waren Parties, ihr selbstbetiteltes Debütalbum von 1989 eine hervorragende Sammlung toller Popsongs, und das trotz der klassischen Rockband-Besetzung aus Bass, Gitarre, Schlagzeug, Vocals. Eine sonore Stimme, gepickte Gitarren, melodiöses Bassspiel und groovy waren die Wölfe, wie wir Fans sie ohne Ironie nannten, ein klarer Kandidat für the next big thing. Das Video zur Single „Summer Train“ des 93er Albums La Spezia fand seine Plätze auf MTV und VIVA, dann … ja, was war dann? ’92 war Nirvana passiert, die Welt war nicht mehr dieselbe. Ich kann nur vermuten, dass Dear Wolf wie so viele Bands, die in den Achtzigern begannen, den Mief dieser Dekade hinter sich lassen wollten. Die Leichtigkeit ging verloren, als verweigerten sie sich dem Pop, der ihnen auf ihrem Debüt noch so gut stand, scheinbar selbstverständlich aus ihnen herauskam, so energetisch, emotional und authentisch. Sperriger klang es bald, moderner, edgy, doch das konnten so viele andere besser. Das Besetzungskarussel drehte sich da bereits, wechselnde Schlagzeuger und Bassisten zerstörten das Bild einer verschworenen Gang, die Musik macht. Ich durfte mit meiner Band – wir hatten ja nun eine CD – einige Support-Gigs für die Wölfe spielen, die wirklich dear waren. ’94 veröffentlichten sie Out of Disneyland, und der Name war Programm. Es folgten weitere Releases, die ich zur Kenntnis nahm, aber der Zauber war verflogen.

Die Band begann 1988, pausierte von 1997 bis 2005, ist seitdem wieder unterwegs und jede Wette live fantastisch. So gut wie mit Uli Swillens am Bass wurde es aber nie mehr. Zumindest nicht für mich. Das hier soll nicht heißen, früher war alles besser. Ich begrüße es, wenn Musiker*innen sich entwickeln. Dazu hat jeder und jede das Recht. Bloß manchmal kann man da halt nicht mit. Aber hör bitte selbst.

Ich erinnere mich an einen Auftritt im Blauen Engel in Krefeld. Vielleicht 1992, ich weiß es nicht mehr genau. Rappelvoll, alle sangen, tanzten, tranken, rauchten und schwitzten, auf und vor der Bühne. Gitarrist Martin spielte seine Telecaster wie so oft mit geschlossenen Augen, öffnete sie für einen Moment, schaute zu seinem Bassisten Uli, mitten im Song, ihre Blicke trafen sich, beide lächeln – das war magisch, das war das, was ich sehen wollte. Dafür danke. 

Was ich dort sah und hörte, hat mich nachhaltig beeinflusst.. Die Band als Lebensentwurf. Bald sollte ich damit scheitern. Aber hey, wir haben viel gelacht. Das Album Dear Wolf ist für mich bis heute ungeschlagen das beste Debütalbum einer deutschen Band.

(Fuck, nun hab ich Bock eine Band zu gründen).

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Ion Tichy ist nicht Ijon Tichy, der von Stanislaw Lem erdachte Raumpilot, sondern eine seit – haltet euch fest – mehr als vierzig Jahre aktive Rockband vom Niederrhein. Damit stammen sie aus derselben Ursuppe, wo ich einst das Licht der Welt erblickte, mir einen Bass schnitzte und die Niers hinauf paddelte. Wir waren in den Neunzigern gemeinsam auf Bühnen und Samplern, da waren Ion Tichy schon die alten Hasen. Der Niederrhein rund um die kleine Stadt Geldern hatte eine unglaublich aktive Musikszene, deren Zentrum war das Café Americano, ein Ort für Auftritte, ein Tonstudio (wo ich meine erste CD aufnahm, siehe den Teil über Dear Wolf), Sonntag morgens gab es Pfannkuchen mit Ahornsirup. Anders als meine Bands versuchten Ion Tichy zu jener Zeit nicht verzweifelt wie Pearl Jam zu klingen (was uns nicht gelang und aus heutiger Sicht auch nicht erstrebenswert erscheint). Ihr Sound war und ist für mich immer irgendwo zwischen Neil Young, Beatles, Bob Dylan und einer Prise Prog. Also Pre-Grunge Rockmusik, und wenn ich alles richtig deute, was ich im Netz finde, machen sie das noch immer. Markus Scholl spielt jetzt Bass, das ist für jede Band ein Segen, der Mann ist ein Gigant an seinem Instrument, so eine Art Mick Karn des Niederrheins (in lebendig). Hört dazu gern mal „Black Mesa“, wenn ihr die wo auftreiben könnt. Und „Japan“, wenn ihr euch fragt, wer Mick Karn war.

Es ist mir nicht möglich, all das hier ohne Nostalgie zu schreiben, aber was soll’s. Ion Tichy zu hören, lullt mich ein. Ihr Sound, Lied gewordener Niederrhein, weit, sehnsüchtig und wie das Starren in den scheinbar so nahen wie unendlichen Himmel, der dort die Landschaft prägt – obwohl ich schon Jahrzehnte fort bin, weiß ich noch genau, wie es sich anfühlt, darunter zu stehen, über die von Weiden gesäumten Felder zu spazieren, hinauf zu schauen, von der Sonne geblendet, verschwindet sie mal nicht hinter tief hängenden Regenwolken. Ich werde bis heute unruhig, ist mir der Blick auf den Horizont versperrt (deshalb wohne ich unterm Dach). Wer es gefühlvoll mag, Rock ohne übertrieben männliches Gehabe, der ist hier richtig. 

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Wenn man all das ohne großen Erfolg macht, ohne Ruhm und Verdienst, kostet es Zeit, Geld und Nerven, in einer Band zu spielen. Dann kann es nur Liebe sein, die euch treibt. Die Liebe zur Musik. Hört nie auf damit.

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2 Gedanken zu “Männer, die auf Gitarren starren

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