Interview: YETUNDEY, was macht eine Boss Bitch aus?

Aufgewachsen in Leipzig, bereits als Teenagerin auf der Bühne, Rapperin, Songwriterin, Produzentin, Musikvideoregisseurin und Tänzerin: bei YETUNDEY trifft man auf ein echtes Multitalent. Die Künstlerin mit deutsch-französisch-nigerianischen Wurzeln hat nicht nur große Visionen und ganz viel Power, sondern auch ein großes Ziel: Menschen erreichen. Ende dieses Jahres erscheint ihr Debütalbum F60.30. Mit ihrer Auftaktsingle „Goodie“ gibt sie bereits einen Vorgeschmack auf freche Texte und tasty Beats. Wir haben sie in ihrem Studio in Berlin interviewt.

© Arthur Blum

Musik unterm Radar: Du sprichst mehrere Sprachen. Gibt es eine Lieblingssprache, in der du am liebsten singst oder rappst?

YETUNDEY: Ich hab‘ angefangen mit Englisch, das fiel mir am leichtesten. Wahrscheinlich, weil man englischer Musik am meisten ausgesetzt ist. Mit der Zeit habe ich mich immer mehr ins Deutsche verliebt. Französisch macht mir aber auch Todesspaß! Ich liebe den Sound.

Was steckt hinter dem Namen YETUNDEY?

Yetunde – ohne zweites Ypsilon – ist mein Mittel- und Yorubaname. Yoruba ist eine der Hauptsprachen in Nigeria. Yetunde bedeutet „die Mutter ist zurückgekehrt“. Das ist ein traditioneller Name, den man vergibt, wenn das erste Enkelkind, das nach dem Tod der Großmutter geboren wird, ein Mädchen ist.

Du hast 2018 deine erste EP „See No Evil“ rausgebracht. Wann wusstest du, dass du im Rampenlicht stehen willst?

Ich glaube, das war schon immer klar. Ich wusste früh, dass ich „Sängerin“ werden will. Zwischendurch dachte ich mal kurz, dass ich etwas Ordentliches wie Medizin studieren sollte. Aber eigentlich war mir immer klar, dass es immer die Musik oder die kreative Industrie sein wird.

Mit 14 hast du bereits an einem Musicalworkshop teilgenommen. Wie ging es nach dem Workshop weiter?

Nach der Schule habe ich mich an der Uni für Musical, Schauspiel und Musik beworben. Mir war damals noch nicht ganz klar, was es werden sollte, weil mir alles sehr viel Bock gemacht hat. Während der Bewerbungszeit wurde mir aber klar, dass bei der Musik am meisten Lebensfreude dabei ist. Dann hab‘ ich an der BIMM in Berlin Songwriting studiert und von da aus ging’s dann immer weiter mit Mukke.

Deine Musik und dein Rap sind aufgeladen mit starken Beats, einer wuchtigen Stimme und viel Energy. Würdest du dich selbst als Boss Bitch bezeichnen – oder besser gesagt als „Billo Boss Bitch“, wie auch einer deiner Songs heißt?

Absolut! Da vorne stehen meine Balenciaga Badelatschen, die gerade mit Panzertape zusammengehalten werden, weil sie auseinander flattern – also ja: Ich glaube, das bin ich in einem Sinnbild (lacht).

Was macht eine Boss Bitch für dich aus?

Seinen Selbstwert zu kennen und in sich zu vertrauen, aber auch Urvertrauen in andere Menschen zu haben. Ich glaube, Boss Bitch zu sein heißt, mit offenem Herzen der Welt begegnen, aber deswegen nicht mit sich spielen zu lassen. Und die Fähigkeit zu haben, eigene Schwächen zu sehen und von anderen zu lernen, um wirklich über sich selbst und vielleicht auch über andere hinauszuwachsen.

Man sieht dich meistens in sehr farbenfrohen und kreativen, ausgefallenen Outfits. Überlegst du dir deine Outfits selbst oder hast du Unterstützung?

Beides. Ich liebe es, Sachen zu kombinieren und neu zu gestalten. Mit meinen Haaren lebe ich zum Beispiel nach der Regel, dass ich niemals die gleiche Frisur zweimal tragen werde, egal wie sehr ich sie liebe. Mit meinem Kleiderschrank gehe ich ähnlich um. Meine beste Freundin ist Fashiondesignerin, was natürlich extrem praktisch ist. Wenn ich ein Kleid aus Plastikbechern im Stil von Marina Hoermanseder haben möchte, dann komm ich zu ihr und sie ist dann so: „Okay, lass machen“. Auch die Zwangsjacke aus Plüsch im neuen Musikvideo ist so entstanden.

Im März erschien die Auftaktsingle „Goodie“ zu deinem kommenden Konzeptalbum „F60.30“. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich die psychiatrische Diagnose „emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ“. Inwiefern spielen deine persönlichen Erfahrungen mit psychischer Gesundheit im neuen Album eine Rolle?

Komplett, in jeglicher Hinsicht. Und nicht nur meine persönlichen Erfahrungen mit psychischer Gesundheit, sondern auch die aus meinem Umfeld. Ich bin ja auch irgendwo Schauspielerin, und mit meiner Kunstidentität schlüpfe ich natürlich auch in andere Rollen. In gewissen Songs wirkt der Charakter, den ich spiele, vielleicht viel zerbrochener, als ich es in Wirklichkeit bin. Aber teilweise bin ich auch selbst in gewisse Löcher reingerannt, um besser über diese Themen schreiben zu können. Würde man das Method Acting nennen? Maybe!

Deine Texte sind teils provokant. Gibt es für dich eine Grenze für Provokation?

Jein. Grundsätzlich denke ich, dass gewisse Lines und ein gewisser Sarkasmus nur wegen ihrer Derbheit funktionieren. Hip Hop ist in seinen Wurzeln ein Genre, das Missstände aufzeigen soll, und manchmal braucht es dafür eine extreme Sprache. Allerdings sollte Rap natürlich nicht als Medium genutzt werden, um Ethnien, Geschlechter oder Einzelpersonen in den Dreck zu ziehen.

Du wirkst in deiner Musik und in deinen Videos sehr selbstbewusst. Hast du manchmal auch Momente, in denen du dich nicht so fühlst?

Es gibt andauernd Momente, in denen ich an mir und an allem zweifle. Und jeder, der glaubt, dass das irgendwann weg geht, denkt absurd. Ich glaube, Zweifel sind wichtig, um immer wieder zu hinterfragen, ob man die Entscheidungen trifft, die zum eigenen moralischen Kompass passen. Manchmal ist die Kopfspirale einfach da. Aber wir sind emotionale Wesen und das ist ja das Schöne an uns.

Seit April bist du auf Tour. Du warst auch schon mal auf der Fusion, im Eco Hotel in Lagos und du hast auch unter anderem schon auf dem Splash Festival moderiert. 

Ich führe ein absolutes Jetsetter-Leben. Ich weiß manchmal gar nicht, wann oder wo wir sind. Wochentage sind ja auch nur Perspektivsache (lacht). Jetzt gerade bin ich seit langem mal wieder länger am Stück in Berlin. Das ist ’n ganz neues Lebensgefühl.

Hört sich auch ein bisschen anstrengend an. Welche Herausforderungen bringen das Tourleben und das Musikbusiness mit sich?

Vor allem, wenn viel ansteht oder ich mir große Ziele gesetzt habe, fällt es mir extrem schwer, mich zurückzunehmen und Pausen einzulegen, bevor mein Körper sie einfordert. Ich habe inzwischen ein großartiges Team, das mich unterstützt. Aber der Gedanke, dass jemand anderes gerade an meinem Traum arbeiten könnte, während ich in der Wanne sitze und ’ne Pause mache, ist schwer zu verdauen – auch wenn das natürlich nicht die Realität und total unhealthy ist.

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Du warst Teil der Arte-Serie „girlhood“. Im Mittelpunkt der Serie stehen acht Künstlerinnen, die Rap nutzen, um über ihren Alltag und über ihre Kämpfe zu singen. Was sind deiner Meinung nach die größten Hürden im Rap und Hip Hop speziell für Frauen?

Eine der größten Hürden ist meiner Meinung nach, dass es kaum Produzentinnen gibt, die im Big Business mitmischen. Und männliche Produzenten laden halt eher Jungs ein, weil dann vielleicht eher das Crew-Feeling aufkommt, das im Hip Hop so eine Sache ist. Es fehlt immer noch an Künstler*innen in Führungspositionen, die ihre Girls drumherum mitziehen und hochziehen und Raum für uns alle einfordern.

Klingt nach einer Wand, gegen die du immer wieder läufst. Wie gehst du persönlich damit um?

Alles abbrennen! (lacht) Nein. Ich kann nicht so ganz abschätzen, ob es am deutschen Musikmarkt liegt, oder wie viel Sexismus da mit reinspielt. Ich bin natürlich als Frau auch biased – wobei Zahlen das bestätigen: Weniger als zehn Prozent der Produktionen in den Billboard Charts sind von Frauen. Da, wo es Geld gibt, ist der Frauenanteil also sehr gering. Und mein Eindruck ist, dass Females im Musikbusiness oft eine gewisse Norm erfüllen müssen – ihr Sound, ihr Aussehen, manchmal selbst ihre Künstlerinnennamen.  Aber wie ich damit umgehe? Weitermachen. 

Was würdest du jungen Frauen raten, die in die Rapszene einsteigen wollen?

Fokussiert euch nicht nur auf Rap. Baut so viele Standbeine wie möglich auf und versucht, Abhängigkeiten Stück für Stück loszuwerden. Denn je abhängiger man von anderen ist, ob das jetzt Männer oder Frauen sind, desto mehr Probleme hat man. Lernt, selbst zu recorden. Dann habt ihr Kontrolle über euren Sound und über eure Darstellung. Und denkt nicht: Ich bin ja nur die Sängerin. Seid neugierig und habt Lust, mehr als das zu werden.

Was war dein Highlight bisher auf Tour?

Das Konzert Anfang April in Berlin war schon cool. Es war heftig zu sehen, wie die Community einen supportet und am Start ist. Es ist so schwer, einen Raum zu füllen. Aber die Leute haben geregelt. Es war richtig, richtig geil. 

Ich glaube, meine krasseste Live-Erfahrung war, als nach einem Gig eine Frau zu mir kam und meinte, dass mein Konzert seit dem Tod ihres Sohnes seit Monaten mal wieder ein Moment war, in dem sie Freude empfinden konnte. Das war krass zu hören. Genau deswegen sind mir auch Live-Shows so wichtig. Über Spotify kann man auch Messages rüberbringen. Aber dieses Grundbedürfnis, Liebe zu teilen und sich gesehen und gehört zu fühlen, kriegt man halt nur bei ’nem Konzert.

Liebe YETUNDEY, vielen Dank für deine Zeit.

Autorin:

Hannah Fischer

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